Ein Werk von Quiles in Madrid
Das Theaterstück Elsas Abschied , das Spezialisten für ein Meisterwerk des zeitgenössischen Kurztheaters halten, wurde vor kurzem in einer dramatisierten Lesung im Casa de América in Madrid im Rahmen des Salón de Libro Teatral Español e Iberoamericano gegeben. Darsteller waren die Journalistin Nieves Herrero und der Tänzer Antonio Canales.
Elsas Abschied
Am Eingang zum Markt
Zwei Monologe für eine Schauspielerin
Eduardo Quiles
übersetzt von Dagmar Grunewald
Person: Elsa
Ein Künstlercafé bei Nacht. Unter einer Lampe ein Individuum mit dem Aussehen einer Puppe, das Zeitung liest, ohne Notiz zu nehmen von einer extravaganten Frau, die vor ihm steht. Ihre Augen scheinen verwirrt, sie ringt die Hände. Sie ist zierlich und elegant mit blassem Gesicht, trägt eine Brille und einen altmodischen Hut.
ELSA: Wenn es mir gelingt, mich zu beruhigen, und du aufhörst, Zeitung zu lesen, werde ich mich setzen und dir sagen, warum ich hier bin, in deiner Literatenhöhle ... (Sie wartet vergeblich darauf, dass er die Zeitung zur Seite legt, und setzt sich.) Diese Mitteilung unter meinem Kopfkissen verschlug mir den Atem. (Sie zieht ein Stück Papier hervor und liest.) Entweder gehen wir beide oder ich gehe allein ... (Pause) Hier ist die Pistole, die du neben den Zettel gelegt hast. (Sie zieht die Waffe hervor und legt sie auf den Tisch.) Mir gehen diese Worte nicht aus dem Kopf: Entweder gehen wir beide oder ich gehe allein. (Pause) Glaubst du, ich würde es zulassen, dass du dich allein aus dem Staub machst? Hast du das tatsächlich gedacht? Was für eine Vorstellung hast du nur von dieser ehemaligen Lehrerin für Sprache und Literatur? So viele Jahre zusammen, vereint in unserem Liebeswahn, unsere Depressionen eingebracht in eine Gesellschaft mit gemeinsamer Haftung, unser Zusammenleben in einer Atmosphäre literarischen Wahnsinns, eine Zurschaustellung bürgerlicher Phantasie, wie sie einzigartig war unter Dichterpaaren. Ein Arbeitszimmer, ein einziges Bett, Mozart, Kerzen, zwei Schreibtische. Schreibst du, meditiere ich; kommt dir ein Einfall, applaudiere ich; gelingt mir eine Entdeckung, applaudierst du. Du liest mir vor, ich lese dir vor, immer aus einer ethischen Einstellung heraus, bei der die konstruktive Kritik Pate stand. Wenn die Ernte an Gedichten gut war, egal ob es meine oder deine waren, feierten wir mit Champagner. (Pause) In den Künstlertreffs empfingen sie uns, als ob wir das Literatenpaar des Jahres waren. Alles lief so gut, unsere Agenten rissen uns mit ihren Anrufen aus dem Schlaf. Hier ein Buchvertrag, dort ein Buchvertrag. Und plötzlich finde ich diese Nachricht und den Revolver. (Pause) Entweder wir gehen beide oder ich gehe allein ...
(Sie bleibt in Gedanken versunken, die rechte Hand am Kinn, bis eine Musik ertönt, die sie freudig überrascht. Sie steht auf und singt.)
Was ist geschehen? / Sag deiner Taube, / welche drohende Wolke / deine schöpferischen Träume verdunkelte. / Wir sind zwei Glühwürmchen ohne Streichhölzer / unter einem Wald aus bedrucktem Papier. / Manchmal bin ich ein unbeschriebenes Buch / und du eine Zickzackfeder,/ deine Tinte berauscht und befruchtet mich; / Verse entstehen fein wie Fäden. / Wenn du zusammenbrichst, / fliegt keine Lerche mehr, keine Morgenröte strahlt mehr / auf den Rücken des Meeres. / Hier sitzt du mit deinem Glas, / mit deinem gespitzten Bleistift, / auf der Jagd nach einem Einfall, / einem schillernden Vers / so leicht wie Rauch. / Hier auf meiner Flucht / ist der Reisegefährte, / der Freund, der Bett und Tisch teilt, / der mir die Hand gibt, / wenn ich nicht darum bitte, / der meine Träume befruchtet / in schlaflosen Nächten. / Das bist du, / fleischgewordene Skizze meines schönsten Wunschtraums. / Das bist du, / Weggefährte auf meinen Fahrten durch das Dunkel. / Das bist du, / ein Lächeln, das immer da ist, / wenn die Tränen mich belagern,/ das bist du, / auch wenn du nur mein verbündeter Spiegel bist, / in dem nie die Gespenster erscheinen, die mich bedrängen.
(Die Musik verklingt. Elsa scheint überrascht von ihrem eigenen Lied, versucht ein zweideutiges Lächeln und setzt sich, während sie ausruft):
Hör auf, dein Gesicht hinter der Zeitung zu verstecken und sag mir, was vorgefallen ist ... Warum musst du gehen? Warum müssen wir uns davonstehlen, wenn doch das Leben ein bunter Reigen aus Küssen, Gedichten und Champagner ist? Warum? He! Bin ich schuld? Liest man mich mehr als dich? Widme ich mehr Exemplare als du bei Lesungen? Werde ich vielleicht häufiger von der Presse interviewt als du? Oh, mein Liebling! Sag doch was. Sag doch was. (Pause) Sag was oder ... (Sie versucht, ihm die Zeitung aus der Hand zu schlagen, hinter der er sich verschanzt.) An diesem Tisch hast du mich mit einem Liebesgedicht verführt. (Sie bietet ihm eine langstielige rote Rose an.) Nimm, nimm ... (Sie zuckt mit den Achseln und gestikuliert mit der Blume.) In eine unmögliche Situation hast du uns gebracht. So unmöglich, dass sie uns allein lassen. Ja, es ist kaum noch jemand im Café. Fast keiner! Dann können wir wenigstens reden. (Pause) Schwein! Ja, Schwein, und ich halte es nicht länger aus. Ein bürgerliches Dichterpaar? Scheißpoeten, das ist es, was wir sind. Agenten, Interviews, Neuauflagen? Dichtende Hampelmänner sind wir, immer dem Zeitgeist auf der Spur. Was ist zur Zeit dran? Postmoderne, Minimalisten, Miniaturisten? Immer auf der Suche nach dem heiligen Feuer des einzigen Wortes. Nur keinen Rhythmus, keine Gefühle, nackte Syntax ... Wie bitte? Ist das unser letzter Wahlspruch? (Pause) Veröffentlicht haben wir wenig und schlecht, und in unserem phantastischen Liebesnest gibt es nur, jawohl, den Müll leerer Verse. (Ironisch) Ein Bett, zwei Schreibtische, Mozart, Kerzen, Champagner, ... Wie viel vergeudete dichterische Energie. (Pause) Ich hatte immer den Eindruck, dass deine Kritzeleien als Toilettenpapier für das Gemeinwohl nützlicher gewesen wären. Außerdem hast du mich ausgesaugt. Scheiße! Keinen Einfall, keinen Gedanken, keinen Entwurf für ein Werk konnte ich dir erzählen, ohne am nächsten Tag feststellen zu müssen, dass du sie schon umgesetzt hattest, wenn auch, na klar, mit einzigartiger Plumpheit. (Sie nimmt die Flasche und gießt sich ein Glas ein.) Ganz zu schweigen davon, dass ich dich frühmorgens dabei ertappte, wie du auf Zehenspitzen herumschlichst und in meinen Papieren wühltest. (Anderer Tonfall.) Der Plagiator ... (Sie lässt sich in den Sessel fallen.) Mein Bett teilte ich mit einem Textdieb. Ich machte Liebe mit einem Verseschmuggler. (Sie trinkt.) Ich gebe zu, ich kam aus meiner Krise nicht heraus. Und ich dachte, mein Hass würde als Ventil wirken, da der Antriebsmotor meiner Phantasie beschädigt war. (Sie trinkt.) Hass und Liebe sind Quellen der Energie, aber du bist der Hanswurst der Moderne, nicht einmal dich zu hassen hat mir etwas gebracht. Woraus bist du gemacht? Aus poetischem Müll? (Sie trinkt.) Willst du mich wohl ansehen! Willst du wohl die Zeitung schließen und dich zeigen, so wie du bist? Nein, du hast keinen Mut. Aber jetzt, wo wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen in deinem “Künstlerloch”, werde ich dir ... (Sie liest wieder die Notiz.) Entweder gehen wir beide oder ich gehe allein. Du Hurensohn! Aber wie bist du nur auf die Idee gekommen, diese Schweinerei zu schreiben und eine Schusswaffe daneben zu legen. (Sie schluchzt.) Du hast dir gesagt: Mit etwas Glück pustet sich diese kurzhaarige und kurzsichtige Individualistin ihr Gehirn weg. (Pause. Erstaunt.) Jetzt dämmert es mir, du hast ein Verbrechen begangen. Klar! (Sie steht auf.) Wir sehen hier den Plan eines perfekten Verbrechens. (Sie setzt sich.) Mörder! Jetzt verstehe ich deine kriminelle Logik. (Pause) Dieser Engel der Avantgarde mit seinen langen Kleidern und extravaganten Hüten ist durchaus fähig, den Köder zu schlucken und sich eine Kugel in den Kopf zu jagen. Sie war schon immer exzentrisch! (Sie greift zum Telefon.) Auf der Stelle rufe ich die Polizei an ... ((Sie wählt eine Nummer.) Polizei? Ich möchte Sie informieren, dass ein Kunstkrämer ein Verbrechen probt. (Sie legt wieder auf.) Komm endlich vor! (Sie zündet sich eine Zigarette an.) Vielleicht habe ich mich verlesen. Klar. Mit drei Dioptrien weniger. (Sie setzt die Brille auf und liest.) Entweder gehen wir beide oder ich gehe allein ... (Pause) Nein, das kann nicht sein. (Pause) Schauen wir mal ... Subjekt “wir beide” ... (Pause), “ich” zweites Subjekt (Pause). Wir haben hier zwei Reden ... Nein! Wir haben hier einen Treuebruch, der bestraft werden muss ... (Sie nimmt die Pistole, zielt auf den Mann mit der Zeitung und drückt ab; er bricht über dem Tisch zusammen. Stille. Intimes Licht. Später klingelt das Telefon, sie zögert, blickt beunruhigt um sich und hebt ab.) Bist du es, Liebling? Wie war dein Tag? Eine vortreffliche Ernte? Ja, ja, ich nehme ein Taxi nach Hause, und du liest mir deine neuen Gedichte vor ... (Sie richtet sich auf, zieht nervös Geld aus ihrer Handtasche und wirft einige Scheine auf das Opfer. Dabei sagt sie:) Heute kann ich Ihnen nicht mehr geben, vielen Dank und bis zum nächsten Mal ... Ja! Bis zum nächsten Mal. Und nun adieu, adieu, adieu ...
(Die Frau verlässt das Café, während das Opfer sich aufrichtet, die Scheine aufsammelt, sie gewissenhaft zählt, eine Miene des Einverständnisses macht und sie in seine Brieftasche steckt. Es wird heller, und der Mann verwandelt sich wieder in die Puppe vom Anfang, die ihr Gesicht hinter den geöffneten Seiten der Zeitung verbirgt.)
DUNKEL
Unter dem Titel Elsa’s Goodbye wurde dieser Monolog von der Schauspielerin Jacqueline Brookes im HERE Multi Arts Center von Manhattan (1996-97) dargestellt.
Die Opernversion mit der Musik von Ángeles López Artiga wurde 1999 in The Miranda Theatre von New York aufgeführt.
Für die erneute Übersetzung wurde auch die Version von Barbara Hedderich 1999 hinzugezogen.