für zwei Schauspieler,
einen Sopran, einen Tenor
und Puppen
von Eduardo Quiles
übersetzt von Dagmar Grunewald
Personen: Eulalio
Rosa Mayo
Sopran
Tenor
Die Bühne ist leer bis auf einige Requisiten. Da Sopranistin und Tenor Traumvisionen von Eulalio und Rosa Mayo darstellen, sind von ihnen durch geeignete Beleuchtung nur die Körper, nicht die Gesichter zu sehen; sie tragen dieselbe Kleidung wie Eulalio und Rosa Mayo.
ERSTER AKT
Die Bühne liegt im Dunkeln, der Zuschauerraum ist erleuchtet, eine Sopranstimme singt das "Lied der Spielkarten" aus der Oper "Carmen". Wenn sich der Zuschauerraum verdunkelt, zeigt ein Licht die Sopranistin im Halbschatten, mit einem breitkrempigen Hut, während sie weitersingt. In der anderen Ecke, unter einem Scheinwerfer, erhebt sich Eulalio von seinem Sitz und applaudiert begeistert. Dunkelheit. Auf der Bühne dröhnt das Pfeifen eines Zuges. Wenn es hell wird, sieht man Eulalio, der auf seiner Schreibmaschine klappert. Er scheint abwesend zu sein, aus seiner Routinearbeit herausgerissen, als träume er von geflügelten Zügen, die den Weltraum auf der Suche nach anderen Planeten durchqueren. Er stößt einen Seufzer aus. Plötzlich zieht er die rote Nelke aus der Vase und atmet mit geschlossenen Augenlidern ihren Duft ein. Eine energische Stimme ertönt, er lässt die Blume fallen und hämmert wieder auf die Tasten ein.
STIMME: ...die Direktion ist beunruhigt über die Berichte Ihres Abteilungsleiters. Sie werden immer nachlässiger. Hören Sie auf, sich auf eingebildete Safaris zu begeben und kehren Sie zu der Arbeit zurück, die man Ihnen angewiesen hat! Sie waren immer ein vorbildlicher Beamter ... und die Eisenbahngesellschaft setzte in Ihre Zukunft die größten ...
(Die letzten Worte gehen im Lärm einer Lokomotive unter. Ein Scheinwerfer fällt auf die Sopranistin, die Madame Butterfly singt:
Un bel di vedremo
Dunkelheit. Ein Scheinwerfer erleuchtet Eulalios Zimmer, die Wände sind mit Fotos, Zeitungsausschnitten und Postern von Rosa Mayo beklebt. Neben seinem Bett häuft sich ein Bündel Zeitungen und Zeitschriften, die noch nicht durchgesehen und ausgeschnitten sind. Während Eulalio mit der Schere klappert, hört man eine Stimme aus dem Fernseher.)
STIMME: ...ja, liebe Zuschauer, Covent Garden war ein Fest, wie die Nachrichtenagenturen berichten. Immer wieder ging der Vorhang unter dem Applaus des Publikums auf, selbst die Wasser der Themse erbebten, ja, sogar die Kuppel der Kathedrale von St. Paul zitterte. Währenddessen fiel ein Blumenregen auf Rosa Mayo, diese legendäre Stimme, die Madame Butterfly so interpretiert, dass selbst Puccini entzückt wäre.
(Eulalio unterbricht seine Schneiderituale und nähert sich mit andächtigem Gesicht dem Fernseher. Dunkelheit. Ein Scheinwerfer beleuchtet Rosa Mayo von hinten, deren Nerzmantel ihre Anhänger fasziniert. Ein Blitzlichtgewitter von versteckten Reportern leuchtet auf, schrilles Kreischen ertönt. Eulalio, der auf Zehenspitzen auf einem Sessel steht, winkt mit seinem melonenförmigen Hut, reißt die rote Nelke von seinem Revers und wirft sie dem Star vor die Füße. Stille. Der kleine Zuschauer ist allein. Eine Violine ertönt aus den Kulissen. Eulalio lauscht mit sehnsüchtigem Lächeln. Er seufzt, bückt sich, nimmt die heruntergefallene Nelke auf und liebkost die Blüte. Ein Scheinwerfer verfolgt ihn bis in sein Zimmer. Konzentriert sortiert er Fotos und Reportagen über die Mayo. Sein Gesichtsausdruck spiegelt die Gefühle wider, die eine solche Beschäftigung hervorruft. Aus dem Fernseher tönt die Stimme des Sprechers.)
STIMME: ...eine Interpretation der hohen Schule, in der unsere Sopranistin bewiesen hat, dass eine neue Stimme für die Oper geboren ist.
(Wie in einer Pantomime steckt sich Eulalio eine rote Nelke in das Knopfloch des Jacketts, betrachtet sich flüchtig in einem unsichtbaren Wandspiegel, nimmt einen Strauß Margariten und geht. Ein Scheinwerfer verfolgt ihn, bis er stehen bleibt, tief durchatmet und an die Tür einer vermeintlichen Künstlergarderobe klopft. Zwei grobe Hände entreißen ihm die Blumen. Eulalio bleibt wie versteinert auf der Schwelle stehen, sein Herz stockt vor Schreck , aus der Garderobe dringt ein Räuspern. Eulalio lächelt und wagt es einzutreten. Im selben Augenblick fliegt er in hohem Bogen wieder heraus und landet auf dem Boden. Voller Schmerz, halb erstaunt, halb erschreckt schüttelt er den Kopf. Dann prallt der Strauß Margeriten an seinen Kopf. Rosa Mayos Zorn ist sofort zu hören.)
ROSA MAYO (ihre Stimme): Das ist der Gipfel! Jeden Augenblick erwarte ich den Besuch eines vornehmen Herrn aus der Hochfinanz, da kommt dieser Dummkopf mit seinen schäbigen Margeriten. Das Leben wimmelt nur so von Verrücktheiten. (Beruhigt sich.) Nächstes Mal, Jungs, brecht ihm das Rückgrat. Mal sehen, ob der Schädel des Typen wieder klar wird und er begreift, dass eine Muse der Oper sich nicht mit einem armen Schlucker abgeben kann.
(Im Halbschatten erscheint der Tenor, singt "Wie eiskalt ist dies Händchen (Che gelida mano)" aus La Bohème. Eulalio kann den Blick nicht von den verstreuten Blumen wenden. Er betastet seine Knochen, kriecht auf dem Boden umher und bindet die Blumen zu einem neuen Strauß. Er erhebt sich und schreibt einige Zeilen auf ein Kärtchen. Dann legt er den Strauß mit der Karte neben die Garderobe der Sopranistin und humpelt davon. Dunkelheit. Ein Scheinwerfer richtet sich auf Eulalio, der auf einem Hocker im Vordergrund der Bühne sitzt. Seine Schläfen sind graumeliert, sein Haar ist spärlich. Als Puccini zu Ende ist, kommen seine Gedanken über den Lautsprecher.)
EULALIO: Gut, lieber Eisenbahnbeamter, es ist nicht mehr lange bis zu deinem Ruhestand. (Pause) Kann man fragen, womit du deine Jahre vertan hast, dein Leben, dein Dasein? Hast du ein Heim gegründet? Wo ist deine Partnerin in Freud und Leid? Wo sind deine Kinder? Oder vielleicht bist du immer noch verliebt in diesen schillernden Regenbogen des Belcanto, den du nur von weitem und auf Fotografien sehen darfst? Denkst du, Alter, dass du eine Bilanz deiner Existenz ziehen solltest? Es wäre besser, wenn du das nicht wagen würdest, es käme deiner Integrität zugute.
(Von beiden Seiten kommen der Tenor und die Sopranistin und singen ein Duett aus einer bekannten Oper von Ravel. Stille. Das Licht fällt auf Eulalio, der ein Theaterplakat von Rosa Mayo betrachtet. Niedergeschlagen macht er sich über einen Haufen Zeitschriften her, die er nervös durchblättert.)
EULALIO: Nichts. (Wirft die Zeitschrift wütend auf die Erde.) Nichts! (Dasselbe) Keine Zeile in diesen dämlichen Zeitschriften. (Zerknüllt Seiten.) Und hier, nichts ... in dieser auch nicht. Seit Jahren haben sie nicht die geringste Notiz über Rosa veröffentlicht. Verdammte Journalisten! Was braucht es für eine titanische Anstrengung, um den schönsten Namen der Welt zu schreiben? Ro-sa Ma-yo. Selbst ein Säugling könnte das.
(Verwirrt begräbt Eulalio sich in dem Haufen Papier, liest verzweifelt noch einmal. In einem Wutanfall zerreißt er mit sadistischem Gesichtsausdruck eine Zeitschrift nach der anderen; nachdem er sich beruhigt zu haben scheint, traktiert er das beschriebene Papier mit Faustschlägen. Im ganzen Zimmer fliegen ausgerissene Seiten umher, mit lautem Gelächter tänzelt Eulalio wie wahnsinnig und boxt jubelnd auf das Papier ein. Die Erschöpfung lässt ihn auf den Zeitungen zusammenbrechen, und zufällig werden seine Augen von einer Überschrift hypnotisiert. Die atemlose Lektüre Eulalios kommt von einer Aufnahme.)
EULALIO (seine Stimme): ... als bei Tagesanbruch der Türsteher des Kabaretts Sieben Monde schließen wollte, fand er eine Frau am Rinnstein sitzen. Obwohl sie versuchte, ihre Identität zu verbergen, sprechen zuverlässige Quellen davon , dass es sich durchaus handeln könnte um ...
(Schweigen. Eulalio versteckt sich hinter einem Berg von Zeitungspapier. Dann kommt er aus seinem Versteck hervor und traktiert heulend den Papierhaufen mit Fußtritten.)
EULALIO: Nein, nein, nein! Verleumdung, Lästermäuler. Rosa Mayo, nein! (Zerreißt pausenlos Zeitschriften.) Auch wenn so viele Jahre vergangen sind, auch wenn ich immer noch Junggeselle bin und warte ... Gemeinheit! Reporter des Satans! Aber ich, ha, ha... Gelbe Blätter! (Nimmt einen Benzinkanister und begießt die Zeitschriften.) Von solchem Unrat muss man sich reinigen. Ha, ha. Sie werden noch bedauern, das geschrieben zu haben. (Zündet ein Streichholz an.) Ein Scheiterhaufen für die Ungerechtigkeit. Ha, ha. Ich werde als Brandstifter manipulierter Nachrichten in die Geschichte eingehen. Ha, ha. (Verwandelt.) Das werden sie noch bereuen. Rosa Mayo kann nicht draußen wie eine schutzlose Katze herumlaufen. Nein. (Löscht das Streichholz und unterhält sich mit einer Illustrierten.) Bitte ... schreiben Sie nicht solche Sachen. Rosa ist ... ist die Stimme von Bizet und Verdi, die göttliche Mayo. Wissen Sie das nicht?
(Er schluchzt. Licht richtet sich auf die Sopranistin, die aus Turandot die Arie singt:
"In opuesta reggia"
Während sie verschwindet, hört er auf zu wimmern, und wie ein aus der Zeit gefallener Don Quijote wandelt er an den Wänden entlang, versunken in die Bilder von Rosa Mayo, liebkost sie mit den Fingern und küsst sie auf platonische Art. Dunkelheit. Die Musik hört auf. Ein hartnäckiger Scheinwerfer überrascht Eulalio, der die Melone in der Hand hält. Er tut, als würde er auf eine Türklingel drücken.)
ROSA MAYO: (Ihre Stimme) Wer ist da?
EULALIO: Ich.
ROSA: Wer zum Teufel ist ich?
EULALIO: Ich bin der Bewunderer Nr. 1.
ROSA: (Im Morgenmantel, bleich, hinfällig.) Bewunderer von wem?
EULALIO: Na, von wem schon, von Rosa Mayo.
ROSA: Die Mayo ist tot.
EULALIO: Mein Gott!
ROSA: Und jetzt hauen Sie ab.
EULALIO: Ich?
ROSA: (beißend) Sie.
EULALIO: (betrachtet die Nelke) Ich habe Ihnen eine rote Nelke mitgebracht.
ROSA: (öffnet die Tür, die sie gerade geschlossen hat) Eine rote Nelke? Meinen Sie das im Ernst? Ich glaube nicht, dass es noch Männer gibt, die rote Nelken an der Tür verteilen.
EULALIO: (zeigt sie ihr) Ist das eine Nelke oder nicht?
ROSA: Sie sind gekommen, um sich einzuschmeicheln, um zu stehlen, zu vergewaltigen, aber nicht, um eine Nelke zu bringen.
EULALIO: Ich bringe nur eine Blume für Rosa Mayo. (Wischt eine Träne ab.)
ROSA: Eine Blume für Rosa Mayo?
EULALIO: Ja.
ROSA: Sie sollten ihr besser einen Trauerkranz bringen.
EULALIO: Ich kann nicht glauben, was Sie sagen.
ROSA: Wer sind Sie?
EULALIO: Ist Rosa Mayo tatsächlich tot?
ROSA: Das hättet ihr wohl gerne! Aber Rosa Mayo lebt. Kapiert? Haben Sie das kapiert,
Sie anonymer Nelkenverteiler? Sie lebt!
EULALIO: Tatsächlich? Oh, das ist wundervoll! Sie lebt. Fabelhaft. Ha, ha, ha. Rosa ... lebt. Ha, ha, ha. (Dreht sich jubelnd.) Sie lebt! Juupiiii! Ha, ha. (Summt eine Arie aus La Bohème. Dann bleibt er errötend stehen.) Entschuldigung, Entschuldigung, ich konnte meine Freude nicht beherrschen. (Wirft seinen Hut in die Luft.) Wo ist sie? Ja, wo ist Rosa Mayo?
ROSA: Wo sie ist?
EULALIO: Ja.
ROSA: Haben Sie keine Augen im Kopf, Sie Narr?
EULALIO: Sie! Sie? (Weicht entsetzt zurück.) Aber, aber was sagen Sie? Ein kleiner Scherz! (Betrachtet sie ängstlich.) Nein. Sie können nicht Rosa sein. Oh, wenn ich es doch wüsste!
ROSA: Ach, nein?
EULALIO: Nein. (Pause.) Sie ist etwas anderes. (Pause.) Ihre Augen waren wahrhafte Leuchtfeuer... (Pause.) Sehen Sie, Señora, ich habe einen ganzen Koffer voll von Gedichten auf ihre meeresfarbenen Augen, verstehen Sie? Also, kommen Sie mir nicht mit Scherzen... (Pause.) Auf Wiedersehen! (Bewegt sich nicht.) Und was ihr Haar betrifft ... Haben Sie schon mal ein Weizenfeld unter dem Licht der Sterne gesehen? Genau so war das Haar der schönen Rosa. Auf Wiedersehen! (Bewegt sich nicht.) Und ihr Körper? Die Anmut ihres Körpers war vergleichbar mit dem Zauber eines Schwans. (Pause.) Also lassen Sie Ihre Spinnereien und ... (Pause.) Und ihre Stimme? Wollen Sie wissen, wie ihre Stimme war? Ihr Klang in der höchsten Oktave war einzigartig. Sie beherrschte die Schlagzeilen zusammen mit den größten Tenören und Bässen. Niemand war besser in der Rolle der Liza in Pique Dame. Und was sagen Sie über ihre Desdemona? Und ihre Mimi? (Pause.) Wenn ich es bloß wüsste. (Pause.) Sie sind Rosa Mayo. (Leichenblass.) Sie sind ... Rosa Mayo.
ROSA: Ihr Gesicht kenne ich. Sind Sie nicht Report der Zeitschrift ...? Nein. Vielleicht Korrespondent von The ...? Sie sehen nicht aus wie ein Gringo. (Euphorisch.) Schickt Sie ...? Einen solchen Rang traue ich Ihnen nicht zu. (Seufzend.) Obwohl ich es vorgezogen hätte, dass Sie ... Ich habe so angenehme Erinnerungen an den Palau de la Musica.
EULALIO: Ich bin Eulalio. Jawohl. Eulalio.
ROSA: Falls ein Klatschblatt Sie geschickt hat: Mein Privatleben ist nicht verkäuflich.
EULALIO: Ich bin ein pensionierter Eisenbahnbeamter.
ROSA: Eisenbahnbeamter? Und was hat das zu tun mit...?
EULALIO: Das war nicht unbedingt der Traum meines Lebens. (Pause.) Niemand wird mit dieser Idee geboren. (Pause.) Ich war auch Sänger, ein Cover, Sie wissen schon, immer auf dem Sprung, eine Berühmtheit zu ersetzen, falls ihr etwas zustoßen sollte. Na ja. (Seufzt.) Die Rolle eines Ersatzmanns lag mir nicht, Sie verstehen, ich wurde engagiert, um nicht zu singen, immer im Schatten, dabei war es mein Traum, auf einer Bühne zu stehen. (Seufzt.) Und wie mir die Eisenbahnzüge gefielen, ich beschloss, Stationsvorsteher zu werden, selbst wenn ich in einem kleinen Dorf stationiert wäre. (Pause.) Können Sie sich das vorstellen? Die lange Reihe der Waggons mit der Lokomotive an der Spitze vorbeiziehen sehen, pfeifend wie ein Raumschiff. Und dann, und dann gebe ich, mit Uniform und roter Mütze, die Fahne erhoben, das Abfahrtzeichen für dieses stählerne Streitross, das tobt und läuft wie ein ...
ROSA: Ein Cover! Kein Journalist.
EULALIO: Ich strebte danach, an Ihrer Seite zu singen, wenn auch nur als Gastkünstler. (Seufzt.) Eine Utopie, ich sehe schon. (Pause.) In meinen Träumen teilte ich die Schlagzeilen mit der Mayo und ... Was soll's. (Pause) Glauben Sie mir? Ich war derjenige, der am meisten applaudierte, wenn Sie die Bühne betraten. (Pause) Manchmal bin ich im Sessel eingeschlafen. Nur ein kleines Nickerchen. Aber niemals bin ich vor dem letzten Vorhang gegangen. (Pause) Dann habe ich Ihre Garderobe mit einigen Margariten in der Hand aufgesucht. (Pause) Erkennen Sie mich wirklich nicht?
ROSA: Raus hier! (Rosa geht zurück in ihre Wohnung, Eulalio folgt ihr.)
EULALIO: Bitte, denken Sie nach. Erinnern Sie sich nicht an den jungen Mann mit den Margariten, der fast immer von Ihren Gorillas verprügelt wurde? Ehem, Ihren Leibwächtern, na ja, Ihren besten Freunden, wollte ich sagen.
ROSA: Sie gehen mir auf die Nerven.
EULALIO: Sie müssen sich erinnern, Señora. Ich habe Ihnen mehr Liebesbriefe geschrieben als irgend jemand. Ich habe alle großen Opernhäuser besucht, die Sie mit Ihrer Stimme bezaubert haben. Ich habe all meine Ersparnisse ausgegeben!
(Eulalio dreht seine Hosentaschen nach außen.)
ROSA: Aus welchem Irrenhaus sind Sie denn ausgebrochen? Wollen Sie mir das sagen?
EULALIO: Eines Tages, eines Tages habe ich Ihnen ein Gedicht gewidmet über die sogenannte Proszeniumsblume, und mich habe ich Galan der Nacht getauft. Haben Sie die Verse wirklich nicht gelesen?
ROSA: Auf Wiedersehen.
EULALIO: Warten Sie! (Pause) Und dieses Madrigal, das ich gesungen habe: Pantomime einer unverzichtbaren Liebe.
ROSA: Raus.
EULALIO: Warten Sie! Sie werden sich doch wenigstens an diesen einzelnen Vers erinnern: Während eines Cellotraums traf der Mann von der Eisenbahn auf seine Dulcinea.
(Eulalio bleibt stecken und wendet sich zur Tür; Rosa Mayo erbleicht, läuft auf ihn zu und zwingt ihn, sich umzudrehen.)
ROSA: Sie!
(Niedergeschlagen nickt Eulalio.)
ROSA: Sie? (Pause) Sie sind es? (Verwirrt) Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie es waren?
(Eulalio zuckt mit den Schultern.)
ROSA: Der Dickkopf mit den Margariten!
EULALIO: Sie waren am billigsten. Aber die Blumenhändlerin hat mir die mit den meisten Blüten und dem intensivsten Duft verkauft. (Pause) Und was sagen Sie zu den roten Nelken? Na? Jede Nelke kostete mich ...
ROSA: Der Fanatiker mit der roten Nelke.
EULALIO: Und den Briefen, nicht? Manche sind mit wahrer Begeisterung zum Briefkasten geflogen.
ROSA: Der Ritter von den Episteln.
EULALIO: (heiser) Sie sind immer noch hübsch.
(Rosa Mayo macht eine Geste des Selbstmitleids.)
EULALIO: Jetzt sind Sie eine Blume.
ROSA: Ich bin keine Blume mehr.
EULALIO: Wie soll ich sagen? Sie sind die Blume der Hoffnung. Und funkeln auf eine gewisse Art.
ROSA: Rosa Mayo hat aufgehört zu funkeln.
EULALIO: Sie irren sich. Ein nie gekannter Glanz ist in dieser Blume. Der Glanz, den ein intensives Leben verleiht ...
ROSA: Hören Sie auf zu lügen.
EULALIO: Sie ... gefallen mir noch immer.
(Rosa Mayo weiß nicht, was sie mit ihren Händen machen soll.)
EULALIO: Wirklich.
ROSA: Ihre Hand.
(Eulalio reicht sie ihr, sie liebkost sie.)
EULALIO: Die Nachbarn werden denken ... (Pause) Ihr guter Ruf.
ROSA: Es ist besser, wenn Sie hereinkommen.
(Folgt ihr. Das Zimmer beeindruckt Eulalio. Unter anderen Dingen gibt es Luftbefeuchter, ein Klavier in der Ecke, ein altes Grammophon und auf dem Boden Vinyl-Platten, CDs ...)
EULALIO: Das ist eine antike, klassische kleine Wohnung, mit Stil.
ROSA: Setzen wir uns.
(Sie setzen sich auf einen Diwan.)
EULALIO: Diese Wände atmen Legende.
ROSA: In diese Wohnung hat sie doch wohl nicht jemand geschickt, der...
(Sie bekommt einen Asthmaanfall. Hustet. Sucht eine Cognacflasche und trinkt einen Schluck; dann lächelt sie.)
EULALIO: Eine gute Marke, was?
ROSA: Es gibt keine bessere Medizin.
(Pause. Sie sehen sich tief in die Augen, eine Zeitlang verbindet sie Zärtlichkeit.)
EULALIO: Also, der Grund meines Besuches ist ...
ROSA: Sie suchen eine Arbeit, nicht?
EULALIO: Arbeit? Ich? (Pause) Oh! Wie haben Sie das geahnt?
ROSA: Sie haben zugegeben, dass Sie ein Cover sind, Sie sind vom Fach. (Betrachtet ihn aufmerksam, ohne mit der Wimper zu zucken.) Sie fordern nichts weniger, als bei Rosa Mayo angestellt zu werden.
(Eulalio senkt den Kopf.)
ROSA: Denken Sie nicht, dass das so leicht ist.
EULALIO: Das habe ich niemals gedacht.
ROSA: Wer für die Mayo arbeitet, wird berühmt, gewinnt Ansehen, wird sogar in den bekanntesten Medien erwähnt.
(Eulalio zieht eine Pfeife heraus, zögert aber.)
ROSA: Sie werden sich doch nicht davon abbringen lassen.
EULALIO: (zündet die Pfeife an.) Danke.
ROSA: Was können Sie noch außer legendäre Stimmen ersetzen und sich um die Rentabilität von Zügen kümmern?
EULALIO: Mit der Schere bin ich sehr geschickt. Ja, wirklich. Ich schneide Presseartikel und Fotos aus wie niemand sonst. Ich habe jahrelange Übung darin, wissen Sie?
ROSA: (hustet und gießt sich noch einen Cognac ein.) Und was zum Teufel soll ich mit einem Kerl machen, der ...?
EULALIO: Ich weiß nicht.
ROSA: Haben Sie einen Riecher für public relations? Den vorigen habe ich hinausgeworfen. (Pause) Könnten Sie die Interessen von Rosa Mayo vertreten?
EULALIO: Das könnte ich.
ROSA: Schwachstellen? Sie wissen schon, Frauen, Alkohol, Roulette ...
EULALIO: (schüttelt den Kopf)
ROSA: Begeistern Sie sich immer noch für die Oper?
EULALIO: (nickt, schließt die Augen.)
(Sie steht auf, geht zur Musikanlage und legt eine Platte auf. In diesem Moment erscheint die Sopranistin an einem anderen Punkt der Bühne und singt eine Arie aus Don Giovanni:)
Mi tradi quell'ama ingrata
ROSA: Läuft Ihnen immer noch ein Schauer über den Rücken, wenn Sie Mozart hören?
EULALIO: Oh, ja.
ROSA: Dann sind Sie der Agent für die göttliche Mayo.
EULALIO: (schluckt) Was sagen Sie?
ROSA: Ich mache kein leeres Geschwätz.
EULALIO: Ich verstehe. Ich kümmere mich darum. Ich übernehme es.
ROSA: Schnell. Bereiten Sie mein Debüt vor. Wenn nötig mieten Sie ein Charterflugzeug. Ich möchte hundert Musiker, Sänger, einen Chor und eine gute Mannschaft Techniker. Ach, und suchen Sie sorgfältig einen Solisten aus, mit dem ich das Werbeplakat teilen muss.
(Eulalio erbleicht. Er weiß nicht, was er machen soll, und geht mit gesenktem Kopf zur Tür.)
ROSA: Warten Sie! Vergessen Sie nicht, Verhandlungen mit einer internationalen Plattenfirma zu führen, ich muss mein Opernleben aktualisieren. Ich muss Aufnahmen machen, der Klang meiner Stimme ist wieder auf der Höhe.
EULALIO: Was sagten Sie? Ach ja, aber...
ROSA: Warten Sie! Vorher müssen wir unbedingt noch unsere künstlerische und berufliche Verbindung feiern.
(Erhebt sich und kommt mit einer Flasche und Gläsern zurück.)
ROSA: Sie können sie entkorken. Es ist der letzte Champagner im Hause.
EULALIO: (frenetisch) Her mit dem Champagner!
(Der Korken knallt und schießt heraus.)
ROSA: Auf die Mayo und ihren funkelnagelneuen Agenten.
EULALIO: Cincin!
ROSA: Die Flasche ist von einem ehemaligen Bewunderer, dem Marquis von Soundso. Fast nichts!
EULALIO: Und Sie haben ihn bis heute aufgehoben?
ROSA: So ist eben Rosa Mayo.
(Sie trinken.)
EULALIO: Eine Flasche mit einer Geschichte. Ein guter Jahrgang, nicht?
ROSA: Beschnuppern Sie die Kreise des Musiktheaters und schlagen Sie das Beste für mich heraus.
EULALIO: Das werde ich!
(Eulalio geht wie eine Rakete ab und kommt zurück.)
EULALIO: Und ... wo ... bekomme ich ... die Verträge her?
ROSA: Das fragen Sie mich? Raus, Sie unfähiger Wurm!
EULALIO: Verzeihung. (Dreht seinen Hut in der Hand.) Es war die Aufregung. Nicht jeder hat die Ehre, die Interessen zu vertreten von...
ROSA: Zischen Sie ab! Die Welt drängt danach, die Mayo singen zu hören.
EULALIO: Ich werde Sie nicht enttäuschen, Señora. Toi, toi, toi!
(Eulalio küsst seinen Daumen. Seine Augen leuchten vor Glück. Geht zur anderen Seite der Bühne, Musik von Donizetti ertönt, ein Schatten tritt ihm in den Weg, die Figur Eulalios ist nun der Tenor, der einen Ausschnitt singt aus Don Pasquale :
E se fia che ad altro oggetto
Danach Vogelgezwitscher. Andeutungen eines Parks. Eulalio, im Mantel mit Schal um den Hals, wirft den Tauben Reiskörner zu.)
EULALIO: Reis. Reis vom Feinsten. Verflixt! Wo soll ich einen Vertrag mit Rosa Mayo herkriegen? Tauben. Tauben. Der reinste Irrgarten! Reis. Ich bringe erstklassigen Reis. Das passiert dir, weil du so vorwitzig bist. Nein. Weil du ein Versager bist. Nichts weniger als ein Charterflugzeug mit einem Theater darin für eine Sopranistin, die spinnt. Tauben. Täubchen. Wo flattert ihr hin?
(Eulalio verstreut weiterhin Reis; dann setzt er sich deprimiert auf eine Parkbank. Das Zwitschern der Vögel wird lauter. Eulalio versucht, sich zu ohrfeigen, lässt es dann aber sein. Lichter blinken. Nur einige Scheinwerfer sind von oben herab auf Eulalio gerichtet. Man hört seinen Gedankenfluss.)
EULALIO: (seine Stimme) Und alles, absolut alles ... weil du eine völlige Niete bist. (Ausdruck des Protests auf seinem Gesicht.) Du hast deine Berufung über Bord geworfen. (Passende Geste.) Vielleicht ist ein Cover, ein Ersatzmann, nicht das Richtige, damit ein talentierter Sänger ans Licht kommt? (Unwillige Geste.) Dummkopf! Entweder sofort Kammersänger oder Tintenkleckser in deinen vier Wänden. Sind das deine grauen Zellen? Einer der Stars in einer Wagner-Oper sein oder nichts...? (Protestgebärde.) Gut, wer zum Teufel bist du? (Analytischer Ausdruck.) Das stimmt nicht. Ich bin der Zuschauer Nummer eins einer legendären Sopranistin. Und die Nummer eins zu sein in dieser Konkurrenzgesellschaft, in diesem Dschungel voll wilder Tiere hat schon etwas Episches an sich, nicht? (Euphorische Gebärde.) Du täuschst dich. (Verdrießlich.) Ich täusche mich nicht, nicht jeder Bürger aus dem Zeitalter von Schaf Dolly kann sich rühmen, Nummer eins zu sein. (Glücklicher Ausdruck.) Du ... Nummer eins? Ha! (Pause.) Gut, ich werde nicht Nummer eins auf der Bühne sein, auch nicht in der Welt der Ideen und der Wissenschaft, aber ... (lächelt) als Zuschauer einer Sängerin, die Epoche gemacht hat, ob Sie es nun wollen oder nicht, bin ich die Nummer eins! (Selbstgefälliges Lächeln.) Willst du vielleicht andeuten, du Zuflucht der Verlierer, dass du keiner mehr von denen ohne Richtung und Ziel bist? (Eulalio nickt zustimmend mit dem Kopf.) Prahlst du damit, dass du deinen Weg gefunden hast, deine Idee, deine ureigenste Aufgabe? Hast du die Unverschämtheit, damit anzugeben, dass du sehr wohl weißt, warum du geboren wurdest, aufgewachsen bist, kopuliert hast und vom rechten Weg abkamst? (Eulalio nickt zustimmend mit dem Kopf.) Mit dir ist jede Unterhaltung schlechterdings unmöglich. (Ausdrucksloses Gesicht.) Bestehe nicht darauf! Du bist höchstens ein kleiner Amateur der idealen Heldin von Puccini, aber nur das! (Beleidigtes Gesicht.) Einverstanden. Du warst immer in der ersten Reihe. Du hast keinen Auftritt dieses musikalischen Regenbogens der Oper versäumt. Du weißt mehr über sie als sie selbst. Und was? Liebt sie dich? (Man hört eine Violine.) Ach, geh! Sie liebt dich? (Platonischer Ausdruck.) Denkst du, dass sie dich eines Tages lieben wird? Eines Tages .. wann? (Zuckt mit den Schultern.) Aber bist du sicher, dass es dazu kommen wird, dass sie dich liebt? (Er kokettiert mit der Idee.) Also wirklich, mit dir ist keine Kommunikation möglich.
(Die Scheinwerfer verschieben sich, lassen ihn im Dunklen und halten an vor Rosa Mayo, die überrascht entdeckt, dass die Wände voll von ihren Bildern sind. Voller Aufregung blättert sie die Packen Zeitschriften und Zeitungen durch, die überall aufgehäuft sind. Durch die starke Anspannung bekommt sie einen asthmatischen Anfall. Keuchend und hustend sinkt sie auf eine Chaiselongue. Als der Anfall vorbei ist, schlendert sie im Zickzack durch das chaotische Museum, das ihre glorreiche Vergangenheit widerspiegelt. Kurz danach stampft Eulalio wütend auf den Boden.)
EULALIO: Wer hat Ihnen erlaubt, in meinen Sachen zu wühlen?
ROSA: Ach, Sie! Du!
EULALIO: Welcher Richter hat Ihnen einen Durchsuchungsbefehl gegeben?
ROSA: Mein Geliebter!
(Sie hängt sich an Eulalios Hals und bedeckt ihn mit Küssen.)
EULALIO: Sie hatten kein Recht dazu. Das hatten Sie nicht!
ROSA: Oh, mein blauer Zuschauer! Mein Nachtgalan. Mein glücklicher Unbekannter, der mich anbetet, ohne mich zu sehen.
EULALIO: Sie hätten mir nicht einen solchen Streich spielen sollen!
ROSA: (Setzt sich neben ihn.) Warum sollte ich nicht dein Nest kennen lernen? (Pause) So sehr hast du mich geliebt? (Schweigen) Auf diese Art? (Schweigen) Mit dieser Hingabe? (Schweigen) Mit dieser Reinheit? (Schweigen) Mein Gott! Ich glaube, ich falle. (Erhebt sich, lehnt sich an ein Plakat an der Wand, auf dem sie abgebildet ist.) Ich hatte den idealen Geliebten. Ohne es zu wissen! (Pause) Ich war die angebetetste Dulcinea der Welt, ohne es zu ahnen. (Pause) Ich war eine Beute der Einsamkeit und glaubte, dass ich niemandem etwas bedeutete, und ein ätherisches Wesen hat mir ein Museum errichtet. (Schluchzt) Warum hast du mir das nicht gesagt, Dummkopf? (Hysterisch) Warum hast du nicht in die Welt hinaus geschrieen, dass Rosa Mayo die am heftigsten geliebte Kreatur des Universums ist? (Sie zerkratzt ein altes Plakat, bis es zerrissen ist.) Warum? Warum?
EULALIO: Aber ich habe mein halbes Leben damit verbracht, Liebesbriefe zu schreiben.
ROSA: Schreiben. Schreiben. Wer hat in diesem Schweinestall genug Zeit, um lyrische Liebeserklärungen zu lesen? Glaubst du, dass wir George Sand und Chopin sind? Romantik ist eine Fata Morgana von gestern, jetzt wird es bald Weltraumspiegel geben, die nachts die Welt erleuchten. Man stellt Atomwaffen her, als ob es Zuckerbrezeln wären, Luftikusse. (Trocknet sich die Tränen vor einem Kosmetikspiegel.) Nein, mein kleiner Eisenbahnbeamter, nein. Du warst die Absurdität in Person. Du hast versagt.
EULALIO: Ich habe versagt? Ich? Wie? Wie können Sie davon sprechen, dass...
(Über ihr Gesicht kullern dicke Tränen.)
EULALIO: Hatten Sie keine Augen im Kopf, dass sie das Männchen nicht bemerkt haben, das immer in der ersten Reihe saß? Hätten sie nicht eine Minute einem bescheidenen Beamten mit Blumen in der Hand widmen können?
ROSA: Nein. Hörst du mich? Nein. Ich hatte keine Augen dafür. Ich konnte nicht unterscheiden zwischen der wogenden Masse von Fans, die mich verfolgten, und ... (Pause) Wenn du mich wirklich geliebt hättest, hättest du es mit Kanonenschlägen in die Welt hinausposaunt. Das wäre deine Pflicht gewesen. Deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit als Verliebter.
(Ein Asthmaanfall schüttelt sie, sie hustet wieder. Mit fiebrigen Augen sucht sie eine Flasche.)
ROSA: Ich brauche einen Schluck. Schnell.
EULALIO: (wie abwesend) In der Küche ist eine Flasche Milch.
ROSA: Milch, du Hurensohn? Gib mir etwas Starkes. Beeil dich.
EULALIO: Etwas Starkes? Gleich. (Pause) Da muss noch ein Fläschchen Anisschnaps sein. (Pause) Gegen Erkältungen.
ROSA: Mach schnell.
(Eulalio geht in die Küche und kommt mit einem Glas Anis wieder. Rosa Mayo nimmt hastig den Likör und trinkt ihn mit einem Schluck.)
EULALIO: Langsam. Nicht so hastig.
ROSA: Mehr. Gib mir mehr.
EULALIO: Ist gut. Aber Sie sollten nicht auf diese Weise trinken.
ROSA: Merkst du es? Hast du dich davon überzeugt? Dir fehlte der Mut, um mich zu erobern.
EULALIO: Ich bin kein frei herumlaufendes wildes Tier. (Pause) Ich bin ein friedlicher Bürger. Genau. Ein Ehrenmann. Ich respektiere Enttäuschungen, Misserfolge.
ROSA: Feiger Beamter. (Gießt sich selbst Anis ein.) Das Universum hat keine Seele. Und man muss schon eine Bestie sein, damit die Tricks gelingen. Das ist der Dschungel der Störenfriede, Pygmäe. Hast du es immer noch nicht kapiert? (Pause) Ja, mein Lieber, du hättest es laut hinausschreien müssen: Ich liebe Rosa Mayo. Ich liebe Rosa Mayo. Und ich verehre sie, weil sie der Engel der Arien ist. Und ich fordere, dass sie mir gehört. Bevor die Anfälle sie zum Teufel schicken.
(Schweigen.)
EULALIO: Ich habe es ein paar Mal versucht. Öfter. Hunderte von Malen. Ich habe es schon gesagt. Ich habe mein Leben damit verbracht, in Hotels, Flughäfen und Künstlergarderoben herumzuschnüffeln, aber letzten Endes wurde ich immer wie ein Hund von Ihren Gorillas verprügelt.
ROSA: Du hast dich von meinen Leibwächtern verprügeln lassen, masochistischer Zwerg?
EULALIO: Was, was hätte ich tun können? Sie waren kräftig und haben mir die Zunge herausgestreckt. (Pause) Ich weiß nur, dass ich ein friedlicher Mann war, der sich von der Oper abgewandt hat, ja, ein hypersensibler Mann mit festem monatlichen Gehalt.
ROSA: Tote Fliegen mit festem Gehalt kümmern mich keinen Deut.
(In tiefem Schweigen sehen sie sich starr an und ringen um Fassung. Eulalio lächelt besänftigt, sie nimmt es auf und gibt das Lächeln zurück.)
ROSA: Ich nehme an, du hast Musik, die museumsreif ist?
EULALIO: Was haben Sie am liebsten? Oder wen?
ROSA: Ich glaube, ein Stück von Tschaikowsky würde mir den Kopf wieder zurechtrücken.
EULALIO: Das ... das sagen Sie im Ernst? Ich ... ich... er ist einer meiner Lieblinge.
ROSA: Ach, ja? Na, so was. Und was hast du von Tschaikowsky?
EULAIO: (Sucht unter einem Stapel alter Platten) Aha. Mal sehen. (Liest) Fantasie von Romeo und Julia.
ROSA: Im Ernst? Romeo und Julia? (Pause) Ein Romeo ohne Zähne mit festem Gehalt. Und eine Julia ohne Orchester und Bühne.
EULALIO: Ich habe fast alle Ihre großen Rollen. Mimi, Desdemona, Tatjana ...
(Die Bühne verdunkelt sich, im Halbschatten zeichnen sich ihre beiden Silhouetten ab, sie sitzen unbeweglich auf einer Bank ohne Rückenlehne, während die Sopranistin unter einem anderen Scheinwerfer erscheint und einen Ausschnitt aus Tosca singt:
Vissi d'arte
Wenn die Arie zu Ende ist und das Licht allmählich heller wird, wird die Intimität plötzlich durch Rosa unterbrochen, die an ihren Fingernägeln knabbert.)
ROSA: Darf man erfahren, was du gemacht hast, nachdem du kein Cover mehr warst? Nachdem du an Eisenbahnen gedacht und deinen Dickkopf in die Seele einer Sängerin gesteckt hast?
EULALIO: Na ja ... ich ... ich ... habe dekoriert, das ist es. Dekoriert.
ROSA: Rosa Mayos Museum, nicht? (Pause) Wie lange, Traumdekorateur?
EULALIO: Na, genau ... (zeigt einen Notizblock.) alle hier aufgezeichneten Jahre, Monate und Tage.
ROSA: (Pfeift) Du bist vielleicht ein Kunde! (Zeigt auf ihn.) Ja, ein toller Kunde ... wie aus einem Originallibretto entsprungen. (Pause) Hör mal! Wie seltsam du bist. (Schweigen) Hat dir das noch niemand gesagt? (Eulalio schüttelt den Kopf.) Du wirst doch irgend ein anderes Hobby haben, um nicht in einer Nervenanstalt zu landen?
EULALIO: Ich gehe oft in den Park. Tauben.
ROSA: Tauben, ääh?
EULALIO: Warum müssen Sie immer alles um und um drehen? Es wird ...
ROSA: Tauben!
EULALIO: Das ist unerhört. (Pause) Kennen Sie ein Geheimnis? Die Tauben unseres Stadtparks haben kein öffentliches Haushaltsbudget für ihren Unterhalt. Was für eine Verantwortungslosigkeit! Sie vertrauen auf das gute Herz der Spaziergänger. Aber wenn sie nun eines Tages vergessen würden, ihnen Reis mitzubringen? Was würde geschehen?
ROSA: Vergessen Sie die Tauben.
EULALIO: Ich werde es Ihnen sagen: In der Stadt würde es keine Tauben mehr geben. Können Sie sich eine Stadt ohne Tauben vorstellen? Unmöglich. Eine Stadt ohne Tauben oder Vögel ist wie ein Meer ohne Möwen und Fische. Oder wie ein ...
ROSA: Vergessen Sie die Tauben.
EULALIO: Das Bild einer Taube mitten im Flug oder der Gesang eines Vogels kann einen Menschen in dem Moment retten, in dem er ...
ROSA: Vergiss die Tauben.
(Schweigen.)
ROSA: Sie. (Verändert) Sie vergessen sie nie.
EULALIO: Ich tue, was ich kann. (Pause) Ich würde gern mit einem ruhige Gewissen schlafen gehen.
ROSA: Haben Sie keine anderen Träume? Kommen Sie. (Reicht ihm die Hand, er nimmt sie, und während beide ins Proszenium gehen, ertönt Musik von Verdi.)
EULALIO: Neben Rosa Mayo zu singen, war mein schönster Traum. (Das Spiel mit dem Licht ersetzt die Figuren durch das Sängerpaar, das Rigoletto zu singen beginnt:
E il sol dell'anima
Die Sänger verschwinden von der Bühne, die Scheinwerfer richten sich auf Rosa, die neben Eulalio auf dem Chaiselongue sitzt.)
ROSA: Rosa ... hat dir wehgetan, nicht? (Er verneint es.) Verzeihst du mir? Geh, Kleiner, sei nicht so unerbittlich mit deiner Julia. (Liebkost seine Hand.) So hast du mich also immer geliebt? Schweigend, weit entfernt, ganz anonym. (Eulalio beißt die Zähne zusammen.) Aber ich habe dir nie einen Grund gegeben ... (Zuckt die Achseln.) Sag mir, habe ich dir Fotos geschickt? (Eulalio zeigt mit dem Finger auf eine Fotografie, die an der Wand hängt.) Nur eine? Wie! Ist es möglich, dass ...? Ich war immer sehr auf meine Korrespondenz bedacht. Sehr verantwortungsvoll. Ich hätte dir zumindest eine ganze Einkaufstasche voller Fotos mit Widmung schicken sollen. Du musst mir glauben. (Pause) Jemand muss sie gestohlen haben. Schweine. Ja. Schweine. Weil Rosa Mayo ein Herz wie die Kathedrale von Valencia hatte und ihren Verehrern Fotos schickte. (Pause) Sie hatte sogar einen Privatsekretär, der im Kalender den Versand notierte. (Pause) Ich erinnere mich Punkt für Punkt daran. An dem und dem Tag eben dieses Foto, dem Bahnbeamten gewidmet. (Schweigen) Du kannst mir glauben. Sie gingen als Eilpost hinaus. Und die Fotos waren in Farbe. (Schweigen) Das stimmt, glaubst du mir? (Pause) Nein? Du tust gut daran. Ich bin eine notorische Lügnerin. (Pause) Obwohl sich das auf der Stelle regelt. Jetzt sofort wird es gut gemacht ...
(Wühlt mit nervösen Händen in der Tasche, kippt alle darin enthaltenen Gegenstände auf das Bett.)
ROSA: Nimm! Eine Fotografie für dich. Und die noch! Und diese. Und die hier. Und die hübsche hier auch. Alle! Alle Fotos gehören dir auf ewig. Na! Verschmähst du sie etwa? Du verschmähst Fotos von Rosa Mayo? Das ist der Gipfel der Undankbarkeit. (Überlegt) Aha, ich verstehe. Du möchtest, dass ich dir eine Widmung mit eigener Hand schreibe. Was für ein Vogel. Was für ein gerissener Gauner. Du bist ein professioneller Verehrer. Klar! Du hast nicht die Spur eines Amateurs. Aus der Bewunderung hast du eine Kunst gemacht. (Pause) Aber Signorina Rosa tut dir ja schon den Gefallen. (Schlägt die Beine übereinander und kritzelt auf die Rückseite der Fotos.) Meinem bedingungslosen Bewunderer. Nein. Das ist sehr unpersönlich. (Pause) Meinem apollinischen und treuen Anhänger. Nein! Meinem Poeten und treuen Galan... Nein! Meinem ... Oh! Warum hilfst du mir nicht anstatt den Schweigsamen zu spielen?
EULALIO: Ein andermal.
ROSA: Wundervolle Antwort. Ein andermal.
(Rosa Mayos Gesicht verliert die Farbe. Sie hustet.)
EULALIO: Rosa!
ROSA: (als würde sie ersticken) Wasser! Bitte, Wasser!
(Unter Zuckungen.)
EULALIO: Wasser? Ja. Warten Sie. Einen Augenblick!
(Eulalio kommt mit einem Glas zurück. Sie schiebt eine Pille in den Mund und trinkt das Wasser in kleinen Schlucken.)
EULALIO: Mir gefällt dein Aussehen nicht. (Pause) Ich werde einen Arzt rufen.
(Eulalio schickt sich an, zum Telefon zu gehen.)
ROSA: Komm zu mir, an meine Seite, ich bitte dich.
EULALIO: Aber der Arzt ...
ROSA: Die Ärzte ... (hustet halb erstickt) verstehen von diesen Dingen nichts.
EULALIO: Ja, klar.
(Lichter flackern. Rosa Mayo atmet unter Krämpfen. Eulalio hält seine Hand zurück. Schweigen. Plötzlich erhebt sie sich.)
ROSA: Ich muss zur Bank gehen, um Geld zu holen. (Pause) Ich werde noch rechtzeitig kommen.
EULALIO: Du bist dazu nicht in der Lage, und die Leute könnten ...
ROSA: Beunruhige dich nicht, mein Prinz, ich weiß mich zu schützen.
(Eulalio beobachtet mit einfältigem Ausdruck, wie Rosa sich einen langen altmodischen Mantel anzieht, einen Hut tief ins Gesicht zieht und eine Sonnenbrille aufsetzt. Als sie sich beobachtet fühlt, lächelt sie mit jugendlicher Schüchternheit. Sie geht hinaus. Eulalio schlendert mit den Händen in den Hosentaschen durch sein Museum. Schließlich geht er über die Bühne in Rosas Mayos Zimmer und telefoniert, ein Scheinwerfer ist von oben auf ihn gerichtet.)
EULALIO: Sie müssen mich anhören! He? Ich bleibe dabei, man darf sich nicht vom Klatsch einer gewissen Presse beeindrucken lassen. (Pause) Was? Ihre Anwälte werden dafür sorgen, dass dieser Haufen Blödsinn richtig gestellt wird. Nein. (Pause) Natürlich teile ich nicht die Meinung mit ... (Pause) Ich wiederhole, mein Herr, dass eine Persönlichkeit vom Kaliber der Mayo nicht aus den Opernhäusern verschwinden kann, ohne eine Spur zu hinterlassen. He? Das sind keine Phrasen! Na, sagen Sie mal. Die Zeit? Wer hat ihre Stimme vernachlässigt? In den hohen Tonlagen ... ist sie wie immer! Und bei den tiefen Tönen ... hat sie nicht ihre Farbe verloren. (Pause) Das Wesentliche ist, dass eine Stimme, die die virtuosesten Taktstöcke verführt hat, nicht auf den Dachboden der Erinnerung abgeschoben werden kann. He! Wie? Einige Male? Seien sie kein Schwachkopf! (Flüchtiger Blick zur Tür) Nehmen wir mal an ... nehmen wir an, die Stimme der Mayo lebt immer noch im Herzen von fünfzig Prozent ihres Publikums. Können Sie sich das vorstellen? Stellen Sie Berechnungen an, finden Sie die Anzahl heraus. (Flüchtiger Blick zur Tür) Dass es jetzt nicht möglich ist? Wenn Sie Zeit haben, rufen Sie an und fragen Sie nach Eulalio, dem Exklusivvertreter der Mayo.
(Schwitzend legt er den Hörer auf; auf der Türschwelle zeichnet sich die Silhouette der Mayo ab.)
EULALIO: Sieh mal an, schon zurück?
ROSA MAYO: (Hängt Hut und Mantel an einen Garderobenständer.) Schurken! Mir solch einen Streich zu spielen! Ich bekam keine Luft mehr! Und ich hatte nie Probleme mit meiner Atmung. Was wäre geworden aus ... Nur einmal ist es mir passiert, in Rigoletto, ich habe eine Note ausgelassen, und das Publikum hat es nicht einmal bemerkt. (Gießt sich einen Cognac ein.) Die Frechheit haben herumzublöken, dass auf meinem Konto ... (Trinkt) Niemals ist Rosa Mayo durch solch eine Hölle gegangen. (Trinkt) Stell dir die Leute vor, die mich mit bedrohlicher Vertraulichkeit betrachten. Und dieses primitive Wesen wagt auf meine Beschwerde hin zu behaupten, dass der Saldo nicht übereinstimmt mit ... (Trinkt) Glaubt du, dass sie mich erkannt haben?
EULALIO: (Steckt eine Pfeife an:) Vergiss es.
ROSA MAYO: Ich werde mich rächen. (Pause) Dieser Lumpenkerl am Schalter soll sich zu meinen Füßen winden wie ein Käfer. Niemand darf Rosa Mayo mit Füßen treten. Niemand!
(Zieht ein feuchtes Päckchen heraus.)
EULALIO: Warst du einkaufen? Was ist es?
ROSA MAYO: Warum steckst du deine Nase nicht in ...? (Pause) Na ja, ist schon alles egal.
(Geht in Richtung des Scheinwerfers und tut so, als würde sie sich aus einem Fenster lehnen, das auf einen Hof hinausgeht; während sie den Inhalt des Päckchens hinausschüttet, schnalzt sie nach den Katzen.)
EULALIO: Sardinen!
ROSA MAYO: Seid nicht ausverschämt. Es ist genug für alle da. Mama Rosa hat den frischesten Fisch gekauft. Ja. Eine Fischerflotte, die mein Bild als Galionsfigur trug, ist aufs Meer hinausgefahren, um meinen Kätzchen etwas mitzubringen. (Wütend) Nein! Das ist für die kleine Weiße. Genau. Und dieses Sardinchen für die Siamesin. (Hysterisch) Lasst die Katze essen. Seht ihr nicht, dass sie gleich gebären wird? (Pause) Noch eine Sardine für die Mieze mit dem dunkelgrauen Rücken. Ha, ha, ha. Was für Kannibalen! Als ob es menschliche Katzen wären. Ha, ha, ha. (Pause) Und du, Kerlchen? Haben sie dir nur die Gräten übrig gelassen? (Pause) Mama Rosa wird dir wie immer deine Tasse Milch mit Brotkrumen bringen. (Schüttelt ihre Hände.) Schluss mit dem Festmahl, meine Kinderchen.
EULALIO: (Erstaunt) Ich wusste nicht, dass...
ROSA MAYO: Oh, ich habe ganz versäumt ... dich vorzustellen ... (Sehen sich tief in die Augen) Gut. Du hast telefoniert, nicht? (Pause) Vielleicht ... eine Frau? (Hören nicht auf, sich zu beobachten.) Ha, ha, ha. Das würde Aufsehen erregen. Jetzt, in dieser Situation, setzt du mir Hörner auf. Ha, ha, ha. Sensationell. Zwei Marionetten auf der Warteliste eines Schönheitschirurgen ... machen erste erotische Gehversuche. Ha, ha, ha. (Sieht ihn prüfend an.) Hör mal. Du hast einen attraktiven Mund und was für Zähne. Künstliche, natürlich. Denn du hast künstliche Zähne. He? Gib es zu.
(Eulalio raucht schweigend.)
ROSA: Lass mich dieses Karamellmündchen sehen. (Versucht, es zu öffnen.) Komm, du Theaterratte! Zeig mir deine Backenzähne.
EULALIO: Ich habe mit Markos einige Worte gewechselt.
ROSA: (bleich) Markos der Agent?
EULALIO: Genau der.
ROSA: Er hat gute Verbindungen zu den Intendanten, die die Programme machen. (Pause) Und was? Ach so! Er leidet an Schlaflosigkeit, weil er Rossini macht. (Gießt sich Cognac ein und trinkt schluckweise.) Ich hätte es ahnen müssen. (Pause) Dieser Luchs hat seinen Geruchssinn nicht verloren. Nichts weniger als wieder mal die beste Opernsängerin seiner Zeit zu retten. (Ernst) In welchem Haus wird das Debüt sein? Vielleicht in der Pariser Oper? (Irreredend) Trinken wir, tanzen wir.
(Gießt sich mehr Cognac ein, trinkt.)
EULALIO: Bitte, beruhige dich.
ROSA: (Trinkt Cognac ohne abzusetzen) He, Autogrammjäger! Glaubst du, dass Rosa Mayo ihre verdammte Energie verloren hat? Du wirst schon sehen.
(Legt eine Pop-Rock-Platte auf, tanzt zügellos.)
ROSA: Ui! Ui! Wie gefällt dir das? Ui! Ui! Ha, ha.
(Nähert sich Eulalio, bringt sein Haar durcheinander, entfernt sich wieder, trinkt ständig und wackelt mit den Hüften.)
EULALIO: Schluss jetzt!
ROSA: Wie Sie befehlen. (Pause) Jetzt tanzt die feurige und sangesfreudige Rosa einen Striptease für ihren geilen Galan. Ha, ha. Ich werde dich erregen. Ha, ha. Ich werde dich ...
EULALIO: Du hast genug gesagt!
ROSA: Willst du mich sehen, wie ich ...? Erinnerst du dich an meine hübschen Brüste und meinen Hintern, den du verstohlen betrachtet hast? (Pause) Und wenn...? Klar! Es wäre eine Erfahrung. (Pause) Aber vorher, vorher ... (Begibt sich zum Toilettentisch.) Dazu braucht man ein Hauch Parfum und ein sexy Kleid. (Hüllt sich in eine groteske Tunika.) Ah ja. (Pause) Sanftes Licht. Halbdunkel. (Schaltet das Licht aus.) Sanfte rhythmische Musik. (Stellt Musik an.) Tanzen wir erst.
(Ein Tanzrhythmus ertönt; Rosa Mayo schnappt sich Eulalio und drückt sich an ihn.)
EULALIO: Aber, meine Dame.
ROSA: Es ist mein Lieblingsfox. (Betastet ihn) Dein Knochenbau ist nicht schlecht, mein Lieber. (Pause) Du hast dich gut gehalten. (Küsst ihn ab.) Entscheide dich, Romeo. Deine Julia ist spitz wie eine Löwin.
EULALIO: Du bist betrunken.
ROSA: Hier hast du mich, sanft und weiblich.
EULALIO: Oh, Rosa, Rosa.
ROSA: Wir werden uns lieben. (Trinkt, ohne die Flasche abzusetzen.) Und dann werden wir Schlagzeilen in der Presse machen. Zwei Reliquien aus der Vergangenheit kopulierten wie die Kamele. Ha, ha, ha. Die Auflage wird ausverkauft sein. Du wirst schon sehen! Ha, ha, ha.
(Als er versucht, ihr auszuweichen, rollen beide auf den Boden. Rosa Mayo reitet auf ihm.)
ROSA: (Wiehert) Hü, Pferdchen, hü, trabe hemmungslos in die Regionen des Vergnügens und der Unvernunft. Ha, ha, ha. Trabe, Klepper, mit dem Maultiertreiber oben oder unten, was soll's, ha, ha, dieses Exemplar, verkleidet als alter Totenkopf. Ha, ha.
(Rosa Mayo springt mit einem Satz herunter, beginnt sich auszuziehen.)
EULALIO: Was machst du da?
ROSA: Und jetzt zeigt sich Rosa, die Schöne, wie Gott sie erschaffen hat.
(Eulalio zieht sie zu Boden, sie kämpfen. Rosa Mayo beißt um sich und versucht, ihn zu ohrfeigen, aber Eulalio ergreift sie am Knöchel und zieht sie durch das Zimmer. Dann hebt er sie unter Schnaufen auf das Bett und bindet sie daran fest.)
ROSA: Was machst du, Bastard? Was machst du mit Carmen?
EULALIO: Beruhige dich, du Teufelsziege! Lass mich Luft schnappen, sei es auch nur für eine Sekunde.
ROSA: Ich kann mich nicht bewegen. (Pause) Ich werde die Polizei rufen. Gut. Ich werde dich als Sadist anklagen. Ich werde sagen, dass du mich vergewaltigen wolltest.
(Eine Violine ertönt. Auf Eulalios Gesicht erscheint ein Ausdruck von Melancholie, während bei ihr der Groll wächst.)
EULALIO: Versteht du nicht, dass du deinen Absturz beschleunigst?
ROSA: Mach mich los, du Schwein! Wie kannst du wagen ...?
EULALIO: Noch kannst du deinen Fall aufhalten. Rosa Mayo.
ROSA: Fall? Der Fall entstand durch diese Weltraumposse, die uns überrollt. Kapier das, du Fliegenhirn!
EULALIO: Das kann ich nicht kapieren. Ich kann nicht begreifen, wie die unaussprechliche Rosa ...
ROSA: Halt den Schnabel.
EULALIO: Eine der kultiviertesten und sensibelsten Stimmen ...
ROSA: Halt den Schnabel!
EULALIO: Sie stürzte ab wie eine Möwe mit gebrochenem Flügel.
ROSA: Sag nichts weiter.
(Bemüht sich vergeblich, die Fesseln zu lösen.)
EULALIO: Niemals. Nie konnte ich das verstehen. (Bewegt) Ich bin deinen Spuren gefolgt. Ich kannte deine Auftritte und dein breites Repertoire aus dem ff.
(Alkoholisiertes Lachen.)
EULALIO: Mit geschlossenen Augen wusste ich den Ort auf dem Globus, an dem du deine einzigartige Stimme hast ertönen lassen. Sogar auf meinem Atlas habe ich mit Reißzwecken das Land, die Stadt markiert.
(Alkoholisiertes Lachen.)
EULALIO: Ich erinnere mich, wie der Bürgermeister von Rom dir die Schlüssel der Stadt übergab.
(Alkoholisiertes Lachen.)
EULALIO: Bis ich eines Tages jede Spur verlor. Rosa Mayo und das Schweigen.
ROSA: Schweinehund!
(Versucht wiederum, sich aus den Fesseln zu befreien.)
EULALIO: Warum hat der leuchtende Star plötzlich aufgehört zu strahlen?
ROSA: Binde mich los, du Hurensohn.
EULALIO: Warum ist ein mythischer Name in Rauch aufgegangen, ohne eine Spur zu hinterlassen?
ROSA: Geh zum Teufel, verstanden, du Zwerg? Ich werde dich fertig machen.
EULALIO: Dann die Gerüchte, die zu glauben ich mich geweigert habe. (Zeigt einen Zeitungsausschnitt.) Wie konnte die Rose der Oper in einem zügellosen Leben dahinwelken? Wie?
ROSA: Gib mir diesen Zettel, Schurke.
EULALIO: Ich habe ihn zufällig gefunden, zwischen deinen Alben.
ROSA: Lass deine schmutzigen Finger von meinen Angelegenheiten. Tu das nie wieder.
EULALIO: Man hätte dich einsperren sollen in...
ROSA: Binde mich los.
EULALIO: Du! Du warst ...
ROSA: Ich war, ich war, ich war. Und was? Hä? Und was? Ich musste raus aus diesem Sumpf. Und es ist gut möglich, dass ich es in einer Minute wieder tun werde. (Keucht) Dieser Urwald von Skorpionen saugt dich aus bis aufs Blut.
EULALIO: Die Tauben im Park werden hungrig sein.
(Geht zur Tür.)
ROSA: Höre, du sentimentaler Pygmäe, man kann keine Sylphide des Belcanto sein, indem man von hellblauen zu rosa Wolken hüpft. Begreifst du das? Manchmal muss man zwischen Sturmwolken hüpfen und fliehen und vergessen. Und in meinen Alpträumen, Scheiße, versagten die Stimmbänder. Mir ging die Luft aus, und ich sah aus allen Löchern der Bühne unzählige junge Mädchen herauskommen mit schönen Stimmen, die Cover, die danach trachteten, wie du zu triumphieren, junge Leute, die danach strebten, eine Mayo zu sein. Aber Rosa Mayo gibt es nur eine! Und es gibt Hohlköpfe, die einen kaputt machen und Anspruch erheben auf alles Mögliche ... (Pause) Verstehst du nun ein bisschen, ein klein wenig, nur das Geringste von deiner angebeteten Rosa?
EULALIO: (Heiser) Gib mir Zeit.
ROSA: Klar.
EULALIO: Du könntest dich der Lehre widmen, du hast viel zu geben.
ROSA: Gehst du?
EULALIO: Zu den Tauben.
ROSA: Bist du böse?
EULALIO: (schüttelt den Kopf)
ROSA: Enttäuscht?
EULALIO: (schüttelt wiederum den Kopf.)
ROSA: Die hier ist nicht dein strahlender Stern. Ha! Spuck' es aus. Du hast zum Himmel geblickt und einen Stern gesucht, weil du ein Sternenmensch bist, vielleicht ein Sterngucker und ... (anderer Tonfall) Du hast dich geirrt.
(Ein Anflug von Bitterkeit erscheint auf seinem Gesicht.)
ROSA: Beabsichtigst du, mich zu verlassen?
EULALIO: Heute muss ich zu meinen Tauben.
(Geht hinaus. Zähneknirschend versucht Rosa Mayo, sich von den Fesseln zu befreien und bleibt im Halbschatten. Man hört Verdi. Die Scheinwerfer sind auf die Sopranistin gerichtet, die die Arie aus Aida singt:
Ritorna a vincitor
DUNKELHEIT
ZWEITER AKT
Die Handlung des ersten Aktes wird fortgesetzt. Eulalio erscheint sofort wieder, er hat nicht den Mut, sie allein zu lassen.
EULALIO: Ich ...
ROSA: Ich wusste, dass du nicht weggehen würdest. (Pause) Mir tun alle Knochen weh.
EULALIO: Wie konnte der Mythos Rosa Mayo so abrutschen?
ROSA: (böse) Was ist heute mit dir los!
EULALIO: Wenn ich mit dir zusammen eine Sekunde, einen Monat, Jahre, den Rest meines Lebens verbringen soll, dann muss ich wissen, wer die Mayo ist.
ROSA: Gib mir einen Cognac.
EULALIO: Später.
ROSA: Du bist ein Blutsauger! (Pause) Du willst es wissen? (Pause) Also gut ... Diesem Püppchen wurden zum ersten Mal die Augen geöffnet auf einem Basar ... wo nur eine Moral existierte: die Moral der Konkurrenz. Und dieses entzückende Äffchen wurde an ein Seil gelegt, damit es als Erwachsene wie eine Marionette triumphieren könnte, verstehst du? Die Große Stimme musste im Basar Aufsehen erregen; obwohl genug Raum da war, versteiften sich alle darauf, dass es nur für einige Erwählte Platz gab. Du warst ein Cover, ein Schatten der Stars, nicht? (Stöhnt) Im Basar mussten die Trottel die Moral mit Füßen treten, die Philosophie des Exklusiven annehmen, weil die Jagd auf die Hauptrolle ihre Triebfeder war, begreifst du das, Eisenbahnbeamter? (Pause) Der Basar war übervoll von Sauerstoff zum Atmen, zum Existieren. Trotzdem gierte jede Marionette danach, das Universum für sich allein in Anspruch zu nehmen... Was für eine irrsinnige Posse. (Pause) Warum hätten wir den Hampelmann an unserer Seite zerstören sollen, wenn wir doch im Bühnenhimmel wohnten, der die reinsten Opernträume befriedigen konnte? (Stöhnt) Ich. Ich war ein Püppchen mit langen Zöpfen und träumte von anderen Basaren, die von Spielzeug bevölkert waren, das ein unaussprechliches Gefühl für echte Musik hatte. (Stöhnt) Aber du siehst schon, Eisenbahner, meine Marionettenpapas wiegten ihr Püppchen mit einschmeichelnden Melodien in den Schlaf. Du wirst Rosa sein, die Primadonna, die Unnachahmliche, die Unübertreffliche, das am höchsten gehandelte und bewunderte Spielzeug der Oper. (Stöhnt) Ha, ha, ha. Ist das nicht fabelhaft? Aber höre auf deine Papis, Püppchen, es gibt nur eine Technik, um die Muse der Opernpaläste zu sein: eine makellose Technik erreichen und alles wegfegen, was sich dir in den Weg stellt. Kapiert, sanfter Hanswurst mit den ozeanischen Augen? Kapiert, kapiert, kapiert! (Trocknet ihre Tränen ab.) Und du, bist du nun zufrieden, Scheißpensionär?
EULALIO: (Schickt sich an aufzustehen.) Die Tauben im Park erwarten mich.
ROSA: Warte! (Pause) Du wolltest wissen, wer Rosa Mayo ist, nicht? (Pause) Nun gut. Ich habe eingewilligt, Rosa Mayo zu sein, weil ein mythischer Name unter Scheinwerfern seinen Tribut fordert. (Pause) Klar, dass die räuberische Zeit nicht umsonst vergeht. Aber ich habe meine Stimmbänder gehegt, niemals die Stimme überanstrengt, Katarre vermieden, mein Repertoire sorgfältig ausgewählt, es gab Yoga, ich konnte ewig sein mit Wagner, Verdi und Donizetti... (Pause) Niemand hätte der Lerche der Oper den Hals umdrehen können.
EULALIO: Weiter! Weiter!
(Rosa Mayo verbirgt ihr Gesicht in den Händen und schluchzt. Vom Lichthof her hört man die Katzen miauen.)
EULALIO: Jetzt erinnere ich mich. Eine Zeitlang sprachen alle von Wutanfällen, Exzentrizitäten, Frechheiten mitten in den Proben.
ROSA: Nimm kein Blatt vor den Mund!
EULALIO: Ein Leben lang Paradiesvogel der Oper oder eine Zeitlang die Trompete Mozarts? Was für ein Dilemma.
ROSA: Du bist ein Spinner. Das dachte ich schon immer. (Pause) Ein grotesker Paranoider, der die Füße der Diven leckt.
EULALIO: Ja, meine Nachtigall, dir blieben zwei Alternativen, zwei Wege, zwei Einstellungen.
ROSA: Ich sagte, nimm kein Blatt vor den Mund. Das sagte ich schon.
EULALIO: Dein Glanz musste aufhören. Obwohl du Funken anderer Art hättest aussenden können. Das ist die Frage, die fatale Crux der Rosa Mayo.
(Sie krümmt sich, rot vor Wut, unfähig, sich von den Fessel zu befreien.)
ROSA: Und wer sagt das? Jemand, der nicht den Mut hatte weiterzumachen. Du wirst den Tag verwünschen, an dem deine leprösen Augen sich auf mich richteten. Das schwöre ich dir.
EULALIO: Und Rosa Mayo konnte nicht verzichten. Ihr Stolz war ihre Falle. Du hättest eine Überlebende in Luxusausführung sein können, hättest Konzerte gegeben, die zu deiner Stimme passen, Meisterstunden geben können.
ROSA MAYO: Du bist wirklich eine Kanalratte!
EULALIO: Du hast deinen Kopf unter den Flügeln deines Egos verborgen, dir eine andere Welt zurechtgelegt, eine andere Logik.
(Eine heftige Krise schüttelt Rosa Mayo, ihr Husten droht sie zu ersticken. Eulalio bindet sie hastig los.)
EULALIO: Rosa! Rosa!
(Sie richtet sich wie eine Schlafwandlerin auf, setzt sich auf den Rand des Bettes, den Kopf gebeugt. Plötzlich bricht sie in Lachen aus und richtet eine winzige Pistole auf Eulalio.)
ROSA MAYO: Ha, ha, ha.
EULALIO: Rosa!
ROSA: Wie gefällt dir die Nummer?
EULALIO: Es war... (weicht verdattert zurück) eine hervorragende Vorstellung. (Er schwitzt) Ich glaubte einen Augenblick lang, dass du hinüber bist.
ROSA: Ha, ha, ha. (Pause) Jetzt kapierst du es endlich, Streckenwärter
EULALIO: (mit verzerrtem Gesicht) Du wirst doch nicht ...
ROSA: Ja, du Vampir unterirdischer Ideen, ich werde dich vernichten, und Rosa Mayo liebt die Ästhetik, jawohl, mein Verbrechen wird mein Meisterwerk, weißt du? (Pause) Aber wie soll man ein schönes Verbrechen in Szene setzen? (Pause) Los, Rosita, denk nach, lass dir was einfallen! Es muss doch eine ideale Methode geben, um diesen Käfer zu zerstören. Und er muss langsam sterben, Sekunde um Sekunde, Schritt für Schritt mit dem Tode ringen. Ruhe, du Ratte! Die Hände in den Nacken. Schnell!
EULALIO: (gehorcht) Ja, klar doch.
ROSA: Vielleicht lasse ich dich verdursten. Und warum nicht verhungern? Später wird die Mayo mit einem besonderen Skelett glänzen, das am Garderobenständer hängt. Nein, meine Lerche, etwas Originelleres, mehr Revolutionäres.
EULALIO: Rosa, hast du den Verstand verloren? Rosa!
ROSA: In den Schrank, sofort!
EULALIO: Wie?
ROSA: Krieche in den Schrank oder ...
(Sie entsichert die Waffe. Entsetzt verschwindet Eulalio im Schrank. Rosa schließt ihn ein.)
ROSA: Ah ja, da habe ich also den Kannibalen meines Unterbewusstseins eingesperrt. Ha, ha. Wie viele Tage? Zehn? Einen Monat? Die ganze Ewigkeit? Ha, ha. Das muss man feiern. Er fiel wie ein Vögelchen.
(Trinkt wie eine Schizophrene. Eulalio hämmert gegen den Schrank.)
EULALIO: Bitte, Rosa, komm zu dir. (Pause) Tue nichts, was du hinterher ...
ROSA: (leert die Flasche) Elender Blutsauger! Euer ganzes Leben lang unterdrücktet ihr das andere Geschlecht, ihr habt es unterschätzt. (Trinkt) Nur einige können dem entfliehen. Ha, ha. Ich werde mich rächen. Ha, ha. (Trinkt) Im Namen der Frauen der Welt wirst du für den historischen Schaden büßen. Ha, ha. (Trinkt)
EULALIO: Lass mich hier raus! Ich kann kaum atmen und leide an Klaustrophobie.
ROSA: Dann verfaule auch an Klaustrophobie! Ha, ha. (Trinkt) Ich muss dich verabschieden, behaarter Affe, mit Musik. (Geht zur Musikanlage.) Wie ist es mit Fantasía para un gentil hombre? Nein! Besser ist Der Narr von Prokofiev. Nein, auch nicht!
EULALIO: (mit schwacher Stimme) Bitte, Rosa, bitte.
ROSA: Für dein Begräbnis wird am geeignetsten Misa pro defunctis sein.
(Die Sinfonie ertönt, sie geht von einer Seite zur anderen, spottend und betrunken, deutet eine Pantomime an.)
ROSA: (leert noch ein Glas Cognac) Ja. Das passt zu einem Sänger, der aus den Theatern floh... Elender Weichensteller im Ruhestand. Ha, ha. (Trinkt) Ich werde über kurz oder lang krepieren, aber du wirst mir sekundieren, du knechtender Affe, ha, ha. (Trinkt) Außerdem: Das wird eine denkwürdige Liebesgeschichte sein. Ein Idyll der Grausamkeit. Weißt du? Ich denke, ich sollte dich verschlingen. Ha, ha. (Trinkt)
EULALIO: Du kannst mich zugrunde richten, aber du wirst nicht weit kommen, Rosa Mayo.
(Sie erbleicht, wird von einem asthmatischen Anfall geschüttelt, fällt zu Boden und krümmt sich zusammen.)
EULALIO: Rosa. Rosa? Was ist los? Rosa!
(Sie kriecht langsam auf den Schrank zu.)
EULALIO: Geht es dir schlecht, Rosa? Antworte mir. Ist dir schlecht?
(Man hört sie husten und keuchen.)
EULALIO: Hör zu, Liebes. Versuche, das Telefon zu erreichen und einen Krankenwagen zu rufen. Nein. Vorher solltest du den Schrank öffnen. Rosa! Hörst du mich? Versuche, dich aufzurichten. Dreh den Schlüssel um. Dreh ihn um oder wir werden beide sterben.
ROSA: Ich habe nicht vergessen, wie du die schöne Rosa auseinander genommen, auf einen einzigen Nenner gebracht und ihr ein Schild umgehängt hast. Scheißdilettant. (Hustet.) Rosa Mayo ist ein bisschen mehr als das armselige Bild, das du hingekleckst hast. (Hustet) Denn Rosa hat mit ihrer Kunst Jahr um Jahr eine sich langweilende Gesellschaft angeregt und zu Höherem geführt. (Hustet) Ja, Heizer, die Opernelfe entzückte mit ihrer Stimme eine Welt, die sich einbildete, durch mehr Besitz glücklich zu werden. (Hustet)
EULALIO: Gott! Ich ersticke.
ROSA: Rosa hat ihren Körper und ihre Stimme angeboten, um (hustet) die schönsten Opern der begnadetsten Musiker zu verkörpern. (Hustet) Als Bürgerin war die Mayo auch nicht unempfindlich gegenüber Forderungen nach einer gerechteren und menschlicheren Welt.
EULALIO: Ich bekomme keine Luft. Meine Lungen werden platzen.
ROSA: Ja, Wer mich gesucht hat, fand immer eine solidarische und brüderliche Hand. (Hustet)
EULALIO: Rosa.
ROSA: Es ist angenehm zu denken, dass durch ihre Opern die süße Rosa dazu beigetragen hat,
die nobelsten Gefühle ihrer Zeit zu wecken.
EULALIO: (sehr schwach) Rosa.
(Ihr gelingt es, ein Stück weiter auf dem Boden voranzukommen, halb aufgerichtet dreht sie den Schlüssel um. Die Tür des Schrankes geht auf. Erschreckt betrachtet sie das Innere, ein Schrei entfährt ihr.)
ROSA: Nein, mein Liebling!
(Eulalio kriecht auf allen vieren aus dem Schrank, halb bewusstlos.)
EULALIO: Oh!
ROSA: Liebling, atme, atme.
(Schweigen.)
EULALIO: Ah, ja, ich fühle die Luft.
ROSA: Mir geht es sehr schlecht, mein kleiner Beamter.
(Eulalio richtet sich schlapp auf.)
EULALIO: Ich werde dir den hervorragendsten Arzt der Stadt herbringen, damit er dir deine eiserne Gesundheit zurückgibt.
ROSA: (schüttelt niedergeschlagen den Kopf.)
EULALIO: Du wirst es selbst merken. (Pause) Jetzt leg dich ins Bett.
(Eulalio nimmt sie in den Arm, bricht aber mit ihr zusammen. Er versucht es nochmals und bringt sie schwankend zur Chaiselongue.)
ROSA: Ich fühle, dass der letzte Vorhang fällt.
EULALIO: Dann halte ihn auf! Die Mayo kann auf der Opernbühne der Welt tun, was ihr gefällt.
ROSA: Eulalio.
EULALIO: (mit einem Schaudern) Ich werde dir ein Medikament bringen. (Drückt ihr einen Kuss auf die Stirn.) Und jetzt wird die schöne Rosa sorglos schlafen, weil ihr Manager für sie wacht.
(Die Lichter werden dunkel, er geht einige Schritte zur Seite. Unter einem Scheinwerfer sieht man Eulalio, der mit gesenktem Kopf auf einem Klinikstuhl sitzt.)
STIMME: Es bleibt mir nur, Ihnen als Freund und Arzt von Frau Mayo zu sagen, dass Rosa über ihre psychosomatischen Möglichkeiten hinaus gelebt hat. Heute kommt die Wissenschaft zu spät, um so ein unstetes Leben zu retten ...
EULALIO: Es wird doch ein Mittel geben. Vielleicht eine Last-Minute-Medizin. (Pause) Sie werden sie doch nicht krepieren lassen? (Pause) Es ist die Mayo. Sind Sie sich dessen bewusst? Weder Carmen noch La Traviata werden ohne sie dieselben sein.
STIMME: Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt noch durchhält.
EULALIO: Organismus. Körper. Fleisch. Zellen. (Erhebt sich verzweifelt.) Aber Rosa ist mehr als eine zerquetschte Niere und kaputte Atemwege. Rosa ist etwas anderes. (Schluchzt.) Rosa ist ein vom Himmel gefallener Vogel. (Pause.) Vielleicht ein Zorneswind, aber man kann sie nicht untersuchen oder eine Diagnose stellen wie bei jedem anderen Sterblichen. Verstehen Sie? Die Mayo ist selbstverständlich etwas anderes. Oh, ja. (Pause) Es ist, als ob ... (Dicke Tränen rollen über seine Wangen.) Sie, Doktor, waren auf dem Land sicherlich schon einmal Zeuge des Wunders, wie eine Blume ihre Blütenblätter entfaltet. Und Sie, Doktor, wagten trotz Ihrer bedeutenden Wissenschaft nicht zu atmen, damit Ihr Atem nicht die Blume störe, denn er könnte die Landschaft auslöschen, die sie, ein Blütenblättergedicht, mit ihrer lyrischen Geometrie prägt. (Trocknet wieder eine Träne.) Ich bin ein einfacher Pensionär der Eisenbahn und kann in der Wissenschaft nicht mit Ihnen konkurrieren, Doktor, aber Rosa ... (Eine Träne blinkt in seinem Auge.) ist mehr. Ja! Geist, Stimme, Kreativität, Seele, Wesen, Atem, Substanz. Was weiß ich. (Wütend.) Sie geben keinen Cent für Sie, aber ich versichere Ihnen, dass, solange der blaue Vogel der Oper lebt, Rosa nicht zulassen wird, dass der letzte Vorhang fällt. Ehrenwort eines Cover und eines Bahnbeamten!
(Er setzt sich die Melone auf, die er wie einen Schwamm zwischen den Händen gedreht hat.)
EULALIO: Auf Wiedersehen, Doktor, ich muss den Tauben Reis bringen.
(Spiel mit dem Licht. Mitten in der Musik von Verdi kreuzt Eulalio den Weg der Sopranistin und verschwindet, während sie die Arie aus Don Carlos singt:
Tuché le vanità
Danach schwenkt das Licht auf Rosa Mayo über, die auf der Chaiselongue liegt und sich in einem Anfall krümmt. Sie erhebt sich schwankend und begibt sich zum Schrank. Während der ganzen Zeit hält sie eine angezündete Zigarette und stolpert ab und zu.)
ROSA: Du bist auf der Weltenbühne, Rosa, und man gibt den letzten Akt dieser ... Buffooper? Was soll's. (Zieht lange weiße Strümpfe aus dem vorletzten Jahrhundert an.) Wer hätte sich dieses Finale vorstellen können? (Pause) Als Kind bekam ich zum Einschlafen die entzückenden Märchen von Andersen vorgelesen, von den Gebrüdern Grimm ... (Zieht sich eine Bluse von 1850 an, mit Spitzen an Manschetten und Kragen.) Die Stimme der kleinen Rosa wurde geschult, während sie von den Kobolden der Musik träumte, auf die sich ihre Wünsche richteten, und bald würde sich Rosita Mayo in blaue Prinzen verlieben, die nicht zögerten, ihr Schicksal mit analphabetischen Bauernmädchen und Pastorentöchtern zu verbinden. (Zieht sich einen sehr weiten flaschengrünen Cordsamtrock an.) Und so wie ihr Körper erblühte, lief das Kind Rosa seinem männlichen Ideal nach. (Wählt vom Garderobenständer ein Jackett aus den 50er Jahren.) Und auch, als sie erwachsen war, suchte die Sopranistin und suchte ... (Knotet sich eine schmale dunkle gepunktete Krawatte um.) Doch der blaue Adonis ließ sich nirgendwo blicken. (Auf ihren Kopf setzt sie eine irische Fischermütze.) Rosa hatte eine Schwäche für Erfolgsaffen... (Zieht sich Schuhe aus den 40er Jahren an.) Aber es gab nicht die Spur eines ... (Malt sich die Lippen rot.) Wieder umschmeichelten sie ihr Herz und gaben sich als Vogelscheuchen, denen der Erfolg zufiel. (Geht zur Musikanlage, man hört einen Walzer von Strauss.) Und Rosa fühlte im Innersten, wie ihre Fantasieschlösser zu Sand zerfielen.
(Sie bückt sich und zieht keuchend unter einem Vorhang einen Sarg hervor.)
ROSA: Die gefragteste Sopranistin wandte ihre Augen von den Sternen und fühlte die Kälte des Asphalts unter ihren Füßen.
(Mit einem Staubwedel reinigt sie den Sarg vom Staub und parfümiert ihn mit einem Zerstäuber ein.)
ROSA: Wie sollte ich ahnen, dass es anonyme und schweigsame Prinzen gibt? Wie?
(Misst mit einem Maßband die Länge des Sarges.)
ROSA: Wie hätte ich mir vorstellen können, dass mein fahrender Ritter im Skelett eines bescheidenen Bahnbeamten logiert? Wie paradox.
(Beobachtet sich kritisch; schmückt ihren Hals mit einem Collier aus Fantasiesteinen, und würdevoll wie ein Schwan legt sie sich in den Sarg, der auf der Chaiselongue steht.)
ROSA: Egal, verirrte Nachtigall, Tatsache ist, dass du deinen Mann getroffen hast. (Ihre Stimme bricht.) Obwohl du schon die Grenzen überschritten hast, zur vierzig und ... (hysterisch) Die feuerfeste Rosa Mayo hat ihren Partner gefunden. Das ist alles!
(Spiel mit dem Licht, Vogelgezwitscher. Man sieht Eulalio, der wie verirrt herumschlendert.)
EULALIO: Nichts! Keine vagabundierende Seele im Park. Was geht es mich an, wo die Entwurzelten schlafen und träumen? Ist vielleicht ein Pensionär, einer außerhalb der Arbeitswelt, kein Entwurzelter? (Pause) Man sieht nicht einmal Tauben fliegen! (Seufzt) Woher weiß ich, dass Markos, der König der lyrischen Theater, mich empfangen wird, ohne mir den Hintern zu versohlen? Und werde ich als Manager den richtigen Riecher haben, um die Oper auszuwählen, die zu ihrer Stimme passt?
(Unter einem intimen Scheinwerfer von oben lässt sich Eulalio niedergeschlagen auf eine Bank ohne Lehne fallen, stopft seine Pfeife. Seine Gedanken fließen und werden hörbar.)
EULALIO: (Seine Stimme) Kleiner Bahnbeamter, weißt du wirklich, was du da anzettelst? (Skeptischer Ausdruck.) Das dachte ich mir. (Pause) Du hast deine Jugend verbrannt, deine besten Jahre. Dummkopf. (Setzt eine beleidigte Miene auf.) Kann man erfahren, wer dir befohlen hat, dich in eine extravagante und verblendete Sängerin zu verlieben? (Zuckt mit den Schultern.) Das dachte ich mir. (Pause) Deine Stadt wimmelte vor hübschen Mädchen. Jede von ihnen hätte dich glücklich gemacht. Du konntest wählen. Bezogst ein festes Gehalt. Hattest gute Anlagen, warst sentimental mit einer Berufung zum Bariton. (Pause) Heute würde ein Haufen verspielter Enkel dein Alter vergolden. (Väterlicher Ausdruck.) Sieh dir dagegen deine jetzige Wirklichkeit an! (Zerknirschter Ausdruck.) Du hast dich in einen verknallten alten Knacker verwandelt, der sich einem jähzornigen Haufen Knochen verbunden fühlt. (Ausdruck von Schuldgefühl.) Trottel. (Zeigt sich betroffen von der Beleidigung.) Außerdem ruinierst du deine Jahre für eine Frau, die dich nie geliebt hat. Mit der du nie geschlafen hast. Und die dich immer zurückgestoßen hat. Sogar mit Gewalt. (Er verneint.) Hast du vielleicht vergessen, wie dich ihre Gorillas verprügelt haben? (Er verneint.) Deine Schulter ist ausgerenkt. (Zustimmung.) Und ein Knochen deiner Wirbelsäule ist Matsch. (Er betastet sie.) Du wärest beinahe erstickt. (Gibt es mit dem Kinn zu.) Ist das immer noch nicht genug für dich? (Resignierter Ausdruck.) Hau ab! (Er verneint.) Noch ist es Zeit. Lass sie laufen. (Verneint wieder.) Verlass sie. (Genauso.) Die Tage dieses Wirbelwinds in Röcken sind gezählt. Sie hat nie etwas für dich getan. Denke daran.
(Das Licht wird heller. Eulalio scheint von einer Traumreise zurückzukommen. Um seine Benommenheit zu verbergen, steckt er seine Hände in die Reistüte. Dann erhebt er sich.)
EULALIO: Tauben. Tauben. Kommt hierher. Kommt.
(Scheinwerfer beleuchten von oben eine Puppe in Zigeunerkleidung. In den Händen hat sie eine Feder und ein Heftchen. Um die Puppe herum sind Partituren aufgehäuft.)
EULALIO: Tauben. Tauben. (Blick zur Puppe.) Habt keine Angst, Täubchen. (Blick zur Puppe.) Seht ihr nicht, dass Papa Reis gekommen ist? (Blick zur Puppe.) Keine einzige. Wohin zum Teufel seid ihr ausgewandert? (Blick zur Puppe.) Sind das Vögel, die sich davon machen mussten, weil sie gestört haben? (Blick zur Puppe.) Nein. Wenn es ums Atmen geht, ist die ganze Welt schuldig. (Setzt sich neben die Puppe.) Störe ich? (Schweigen) Verzeihung. Ich fragte, ob ich störe. (Schweigen) Bestenfalls zerstreue ich Sie. (Schweigen) Vielleicht lenkt es Sie ab, wenn Sie einen Mann sehen und ihn weinen hören. (Pause) Denn ich werde weinen, wissen Sie? Und selbstverständlich ist es ein deprimierendes Schauspiel, die Tränen eines älteren Mannes zu sehen. (Pause) Ich verstehe das, glauben Sie mir. In meinem Alter muss man ernsthaft sein. Aber ich schwöre Ihnen, dass ich kurz davor bin zu platzen. (Pause) Sie, erlauben Sie, dass ein unglücklicher Bürger weint? (Pause) Oh, danke. Vielen Dank, mein Herr, was würde aus der Menschheit, wenn Wesen wie Sie aussterben, die ihrem Nächsten erlauben zu weinen. Nein! Ich sage nichts. (Pause) Wenn Sie meine Gefühle unterbrechen, kommen bestenfalls keine Tränen. (Blick zur Puppe.) Sie glauben mir nicht, dass ich den Park unter Wasser setze, nicht? (Pause) Können Sie schwimmen? (Pause) Dann lösen Sie also Ihren Hintern von der Bank und schwirren Sie ab, weil jeden Augenblick der Park ein reißender Strom wird. (Blick zur Puppe.) Warum gucken Sie so? Fordern Sie mich ernsthaft auf, dass ich es beweise? Wer glauben Sie denn, dass Sie sind? Mit welchem Recht bitten Sie einen respektablen und reifen Bürger zu weinen? (Pause) Oh! Jetzt. Ja, jetzt!
(Eulalio weint steinerweichend zu seinem eigenen Erstaunen. Man hört die Vögel im Park zwitschern. Eulalio schluchzt weiter, hört dann auf. Mit vor Scham geröteten Wangen weiß er nicht, wie er seine Schwäche verstecken soll. Ohne sich zu erheben pfeift er nach den Tauben. Dann wirft er einen misstrauischen Blick auf die Puppe. Er lächelt. Und als ob nichts geschehen wäre, ruft er aus.)
EULALIO: Was machen Sie? Ja. Womit verbringen Sie Ihr Leben? (Pause) Na ja, das geht mich eigentlich nichts an. Jeder kann seine Beschäftigung frei planen. Einige ... (Scheinwerfer zeichnen die Schatten von vagabundierenden Puppen, die auf dem Rasen und auf Bänken liegen.) Einige vagabundieren wie diese Lumpenkerle. (Pause) Andere beschmutzen die Menschheit. (Pause) Andere setzen ihre Kraft daran, sie zu übertreffen. (Pause) Einige betrügen, andere pflegen die Blumen der Menschenliebe.
(Eulalio springt auf die Bank. Steigt wieder herunter und dreht sich wie rasend um die Puppe herum.)
EULALIO: Einige verwechseln das Korn mit dem Stroh und andere nehmen die Ernte mit. Die Prostituierten spielen Canasta, und Vögel mit Strohhüten reisen in der Concorde. Ha, ha. Der Philosoph denkt sich Wahrheiten über das Sein und die Welt aus, und der Jahrmarktssprecher kehrt den hervorragenden Redner heraus. Ha, ha. Eine Epoche bringt Söhne der Vernunft und des Geistes hervor, andere Epochen erfinden Marionetten, die zu Mandarinen von was auch immer werden. Ha, ha. Einige suchen sich und finden sich nicht, und andere scheren sich keinen Deut darum, vom Wege abzukommen. Ha, ha. Der Opportunist mästet sich mit Kaviar und der Weise mit Petersilie. Ha, ha. (Dreht sich weiter, als hätte er Halluzinationen.) Die Dilettanten masturbieren mit allem Neuen, und die Gläubigen gehen mit Fräulein Melancholie spazieren. Ha, ha. Gott ist immer eine Nachricht, obwohl er nicht in der Tagesschau erscheint. Ha, ha. Die Außerirdischen kopulieren mit den Irdischen, und ihre Ehegatten toben in den Fußballstadien. Ha, ha. Ein Geschäft ist die Entbindung eines Individuums, ein anderes Geschäft ist sein Dahinscheiden. Ha, ha. Ein arabisches Sprichwort sagt, der Mensch könne nicht über seinen Schatten springen, ich dagegen spiele Tennis mit ihm. Ha, ha. Ich bin ein verliebter Bariton und Rentner, und nun auch noch Sie... auch noch Sie...
(Eulalio seufzt und bremst sein wahnsinniges Herumlaufen. Er lächelt missmutig und beunruhigt. Schließlich entfernt er sich von der Bank und überspielt sein Gefühl, indem er Reiskörner verstreut.)
EULALIO: Tauben. Ringeltauben. Turteltauben. Brieftauben oder Tauben ohne Briefe. Kommt her. Wehrt euch nicht dagegen, zu kommunizieren mit ... Sperbern? Was für eine Dummheit.
(Eulalio kehrt an die Seite der Puppe zurück.)
EULALIO: Nein! Ruhig, Signore. (Pause) Diesmal wird der Mann mit den Tauben nicht weinen. (Pause) Und jetzt auf Wiedersehen! Ich gehe zu ... (Pause) Habe ich Ihnen das nicht gesagt? Ich habe eine Braut, sie ist eine wilde Ziege ... He, he. Das ist ein Witz. Sie ist ... der Schwan der lyrischen Bühnen, und mich faszinieren die Teiche. (Pause) Debbo partire subito, signore. Ich bin ein traditioneller Freier und muss der Dame Blumen mitbringen. (Nimmt seinen Hut ab und macht eine Verbeugung.) Es war mir ein großes Vergnügen, mit Ihnen zu plaudern, mein Herr. Ein Vergnügen und eine Ehre.
(Eulalio lächelt und setzt sich den Hut auf. Während Musik von Donizetti spielt, tritt er in den Halbschatten, aus dem im selben Moment der Tenor kommt; er singt:
Una furtiva lágrima
Dann sehen wir wieder Eulalio, der in das Zimmer der Mayo tritt. Er blinzelt und erschrickt vor den Kerzen. Beunruhigt nähert er sich, und als er den Sarg auf der Chaiselongue bemerkt, stößt er einen Seufzer aus, im selben Augenblick wird das Licht heller.)
EULALIO: Oh Rosa, Rosa!
(Setzt sich neben den Sarg und schluchzt. Sie erhebt sich ein wenig und bläst die Kerzen aus.)
EULALIO: Rosa!
ROSA: Bajazzo.
EULALIO: Hier ist keine Leiche.
ROSA: Gaukler.
EULALIO: Oh, Himmel! Welche Freude. Welches Glück. (Versonnen) Und warum? (Pause) Und woher hast du ... ?
ROSA: Der Computer einer Hexe hat mir Tag und Stunde mitgeteilt.
EUlALIO: Unerträglich. In jeder Hinsicht untragbar. Komm aus diesem Kasten raus. Schnell!
(Rosa weigert sich; Eulalio schnauft wie eine Lokomotive, um sie aus dem Sarg zu ziehen.)
EULALIO: Diese Totenkiste, zu den Katzen!
(Eulalio nimmt den Sarg, geht zum Scheinwerfer und wirft den Kasten auf den vermeintlichen Hinterhof, während Rosa, sehr abgezehrt, auf dem Bett keucht.)
ROSA: Was hast du gemacht, du Luder? (Husten schüttelt sie.) Der Tischler von der Ecke hat mir die Kiste zu einem guten Preis gezimmert.
EULALIO: Niemand braucht Kisten. Niemand braucht Särge. Hörst du mich? Hörst du deinen Manager?
ROSA: Die von der Versicherung ... (Hustet) haben mich abgemeldet. (Hustet) Und Rosa Mayo hat sich mit ihrem Sarg angefreundet. (Hustet) Und jetzt du, Kanaille ... (Stöhnt)
EULALIO: Du wirst zu gegebener Zeit ein Begräbnis bekommen. Ein Ehrenbegräbnis, wie keine Sopranistin es erträumt hat.
ROSA: Gute Reise, Rosa, gute Reise. Das ist das einzige, was ich höre. (Pause) Das Leben sagt Rosa Mayo auf Wiedersehen.
EULALIO: Schwindel! Niemand sagt auf Wiedersehen. Niemand möchte, dass du gehst. (Pause) Im Gegenteil, die Kommunikationsmedien gieren nach der Mayo. (Pause) Das Kabelfernsehen ebenso. Hörst du mich, Rosa? (Beugt sich über sie.) Kannst du deinem Ritter glauben?
Rosa: Du lügst mehr als du sprichst. (Hustet) Das ist dein Laster, Männchen.
EULALIO: Ich lüge nicht, Rosa. Die Presse interessiert nur, dass die göttliche Mayo sich nicht aus dem Staub macht.
ROSA: (mit dem Hauch einer Stimme) Komödiant.
EULALIO: Das sagen die Zeitungen. (Zeigt auf einen Haufen.) Die Zeitungen schreien es heraus.
ROSA: Gib sie mir.
EULALIO: Die Zeitungen?
ROSA: Ich muss mich selbst vergewissern. Bitte.
EULALIO: In Ordnung, Nachtigall. Aber ein andermal. Starke Gefühlsausbrüche musst du vermeiden.
ROSA: Gib mir die Zeitungen, Unglücklicher. Gib sie mir.
(Versucht, sich aufzurichten, ihre Schwäche wirft sie zurück.)
EULALIO: Es ist richtig und logisch, dass du forderst ...
(Eulalio hält ihr einige alte Zeitungen unter die Augen.)
ROSA: Lass sehen, wo sagen sie, dass ich wichtiger bin als der Benzinpreis?
EULALIO: Hier. Hier.
ROSA: Wo ist hier?
EULALIO: Auf der Seite mit dem Leitartikel, zusammen mit den wichtigsten Ereignissen.
ROSA: Wo? Wo?
EULALIO: Mach die Augen auf. Lies.
ROSA: Ich kann nicht! Desdemona kann kaum noch etwas sehen ...
EULALIO: Soll ich lesen?
ROSA: Ohne etwas auszulassen oder deinen Senf hinzuzugeben?
EULALIO: Ohne meinen Senf hinzuzugeben.
ROSA: Auch wenn es schonungslos ist, was sie über Rosa Mayo sagen?
EUlALIO: Ja ja.
ROSA: (murmelt) Dann los.
EULALIO: Der Leitartikel sagt ... Ehem! Rosa!
ROSA: (kraftlos) Ich ... höre dich.
EULALIO: Ah! (Schnaubt) Einen Augenblick lang glaubte ich ... (Pause) Der Leitartikel sagt... Die unvergessliche Rosa Mayo auf dem Wege der Besserung.
ROSA: Ist das der Titel der Kolumne?
EULALIO: Das ist der Titel.
ROSA: Mit großen Buchstaben?
EULALIO: Mit gewaltigen Buchstaben.
ROSA: Weiter. (Hustet) Wenn du so nett sein würdest.
EULALIO: Es ist kaum zu erklären, wie durch eine leichte Erschöpfungskrise eine der beliebtesten Stimmen der Oper verloren geht.
ROSA: (Versucht sich aufzurichten.) Schwöre, dass sie das schreiben.
EULALIO: Zweifelst du an deinem Manager?
ROSA: Schwöre es bei deiner Ehre.
EULALIO: Ich soll bei meiner Ehre schwören?
ROSA: Ja.
EULALIO: Schwören gehört nicht zu meinen Gepflogenheiten.
ROSA: Dann ... lügst du! (Ihre Krise verschärft sich.) Du lügst, kriecherischer Beamter. (Hustet) Ich will sofort sterben. Auf der Stelle. Meine Pistole!
(Ergreift die Waffe. Mit zitternder Hand hält sie sie an die Schläfe und drückt den Abzug.)
EULALIO: Rosa!
ROSA: Bah! Nicht einmal Geld für Kugeln.
EULALIO: Mir solch einen Schrecken einzujagen! (Pause) Eine ganz schöne Zumutung.
ROSA: Das Valium.
EULALIO: Das Valium, nein.
(Eulalio entreißt ihr ein Pillenfläschchen.)
ROSA: Kanaille. Kanalratte. Den Geist einer Sterbenden manipulieren.
EULALIO: Ich schwöre bei meiner Ehre.
ROSA: (küsst ihm die Hand.) Mon chéri, mon amour. Oh, je t'aime, je t'aime!
EULALIO: (verblüfft) Ich habe geschworen.
ROSA: Jetzt weiß ich, mein Ritter, dass es stimmt, was die Zeitungen über die Dame schreiben.
EULALIO: Ruh dich aus, Geliebte.
ROSA: Ah! Ich verbrenne. Ich habe Durst, mein Lieber.
(Eulalio gibt ihr ein Glas Wasser; sie trinkt und spuckt aus.)
ROSA: Was für ein Gesöff ist das? Willst du mich vergiften?
EULALIO: Das ist Wasser, Rosa.
ROSA: Cognac! Gib mir Cognac! Hast du gehört? (In einer Anwandlung von Lebhaftigkeit.) Und du weißt auch, wer dich darum bittet ... (Pause) Wenn du ein schwaches Gedächtnis hast, lies die Zeitungen. Lies! Und kapiere, verdammt noch mal, an wessen Seite du bist. Denn es ist sehr wohl möglich, dass du noch eine Sekunde länger diese große Ehre genießt.
(Bricht zusammen.)
EULALIO: Hier hast du, trink vorsichtig.
(ROSA trinkt begierig.)
EULALIO: Wie geht es dir, Geliebte?
ROSA: Ich will die neueste Oper des renommiertesten Komponisten. Ich will innerhalb einer Stunde Markos den Promoter. Und die revolutionärsten Musik- und Bühnendirektoren der aktuellen Oper sollen herkommen. Ich will die Leute vom Fernsehen. Die Kritiker. Die Fotoreporter. Und beeil dich, sonst wirst du nicht mehr die Interessen deines Kristallvogels vertreten, und sie wird ihren letzten Vorhang fallen lassen. (Rau) Hast du verstanden?
EULALIO: Aber, Rosa, Geliebte, das ist ein Hirngespinst, ich kann doch nicht in so kurzer Zeit ...
ROSA: Diesmal wird Rosa Mayo ihr Ehrenwort einlösen. Los!
(Schließt die Augen, schnauft mühsam. Eulalio steht wie eine Statue. Nebel wird hereingeblasen. Musik aus Rigoletto ertönt. Anstelle von Eulalio kommt der Tenor hervor und singt:
Parmi verder le lagrime
Anschließend sieht man Eulalio. Vogelgezwitscher. Er beruhigt sich, als er die Zigeuner-Puppe sieht, aber sie hat Gesellschaft: Am anderen Ende der Bank liegt eine Vagabunden-Puppe, den Kopf auf einer alten Violine.)
EULALIO: Tauben ... Tauben ... (Zur Bohème-Puppe) Hallo! (Winkt mit der rechten Hand.) Erinnern Sie sich nicht an mich? (Pause) Ich bin der ... na ja, der ... (Stottert) der Bürger, der neulich Ihre Kleidung mit Tränen benetzt hat. (Pause) Nein, glauben Sie nicht, dass ich ein aufdringlicher Kerl bin. Ich werde Sie nicht belästigen. Wirklich nicht. (Pause) Ich bin nicht einer von denen ... nein, mein Herr, ich respektiere die Künstler; denn Sie sind vom
Fach, das habe ich gleich geahnt, als ich Sie gesehen habe. (Pause) Ich sagte mir, dieser Herr mit so tiefgründigen Augen und der noblen Stirn muss ein Künstler sein. (Pause) Sie sind kreativ tätig, ja? Und was pflegen Sie? Ja, welches Genre? Romane? Geschichten? Hören Sie! (Untersucht die Partituren, die neben der Puppe aufgestapelt sind.) Sagen Sie nicht, dass Sie Musik schreiben. (Exaltiert) Opernfantasien ziehen Sie an, ja? (Pause) Was für ein Zufall. Verflixt! Wie? Nein, ich bin nicht aus der Zunft. Keineswegs. Aber ich habe gute Beziehungen zu den Kreisen von Rossini und Konsorten. Warten Sie! Ich habe Sie belogen, ich war Bariton, aber ich wollte meine Jahre nicht damit verbringen, den Cover zu spielen, ich wollte ich sein. (Seufzt) Jetzt bin ich sogar ... (Pause) Sind Sie herzkrank? Pah! Also dann: Ich bin der Manager von Rosa Mayo. Fast nichts! Nicht wahr?
(Blickt der Puppe ängstlich ins Gesicht. Dann entfernt er sich von der Bank und wirft Reiskörner durch die Luft.)
EULALIO: Tauben ... Täubchen ... Holt euch den Reis, Schwestern.
(Überlegt krampfhaft. Während er Reis austeilt, beobachtet er verstohlen die Puppe.)
EULALIO: Reis, saftige Reiskörner für meine ... Hören Sie! Ist das wahr, dass auf der Bühne Ihres Unterbewusstseins unveröffentlichte Arien zu hören sind? (Pause) Aber, sicher, sicher? Klar! Man braucht Sie nur anzusehen. Sie sehen genauso aus wie ein Dichter des do, re, mi, fa, so ... (Eulalio trällert ein Thema aus dem Barbier von Sevilla.) Begeistert, was? Sagen Sie mir: Wie behandeln Sie die Töchter Ihrer Fantasie? Ja, Mann! Ihre Opern, wie funktionieren sie? Sind Sie ... berühmt? Hört man Ihre Musik im Liceo, im Teatro Real, im Palau? (Pause) Aha, Sie haben die großen Heiligtümer noch nicht betreten. Vielleicht entwickeln Sie eine neue musikalische Sprache? Das dachte ich mir. Wie soll ich sagen ... Schöpfer von lyrischen Dramen, wie sie dem Beginn dieses Jahrhunderts zukommen? Das habe ich vermutet. Und Ihr Leben? Aha, eine Dachkammer voll von musikalischen Noten. Erbarmungslose Kunst. (Pause) Aber quälen Sie sich nicht, mein Herr, ich bin ja da ... Ich? Ach ja, nichts weniger als der blaue Vogel von Signorina Mayo. (Seufzt) Mit Verlaub...
(Macht die Geste des Reiswerfens, geht aber zur Parkbank zurück, die Augen auf die Puppe mit der Geige gerichtet.)
EULALIO: Würde es Sie anregen, wenn die Mayo eine Ihrer Opern proben würde? Natürlich. Ihr Gesicht hat sich erhellt. Es konnte gar nicht anders sein. (Stößt sie mit dem Ellenbogen.) Stellen Sie sich vor, die Pariser Oper hell erleuchtet. Und in den Schaukästen der Titel Ihrer Oper und Ihr Name in Goldbuchstaben. Und immer wieder der magische Name von Rosa Mayo neben dem des zugkräftigsten Tenors. Was meinen Sie? (Pause) Und das Publikum dicht gedrängt wie die Ameisen. Und ich, mit Frack und Zylinder, kündige an ...
(Zwinkert mit den Augen, deutet eine Pirouette an und springt auf die Bank.)
EULALIO: Entrez, messieurs-dames. Come in, ladies and gentlemen. Entrate, signore e signori. Zögern Sie nicht, meine Damen und Herren, wir beginnen mit einer Aufführung der lyrischen Kunst unserer Tage, der Komponist ist ... hm! hm!, das Libretto von ... hm! hm! Drängeln Sie nicht! Bleiben Sie nicht an der Tür stehen! Es gibt Platz für alle.
(Eulalio springt schwitzend von der Bank herunter, grüßt mit dem Zylinder in der Hand und stellt sich der Zigeuner-Puppe gegenüber.)
EULALIO: Was meinen Sie? Wäre das nicht ein Traum? (Pause) Das und noch vieles mehr könnte Rosa Mayo mit ihrer Kunst machen. (Nimmt die Pfeife und stößt den Rauch mit einer bedeutungsvollen Geste aus.) Warum ich das mache? Na, für eine mitreißende Oper. Und Sie bringen Musikdramen zur Welt für mehrstimmige Chöre, Vokalsolisten und ein Wahnsinnsorchester. Klar? (Pause) Kein Wort mehr. (Pause) Kümmern Sie sich um Ihre unveröffentlichte Oper, junger Strawinsky. (Pause) Warum gucken Sie mich so an? Geben Sie Fersengeld, der Gong Ihres Erfolges hat geschlagen. (Pause) Beeilen Sie sich.
(Eulalio geht von der Bank weg.)
EULALIO: Einen Moment! Sie sollten wissen, dass der Manager der Mayo nur eine kleine Weile warten wird. Das ist alles.
(Das Deckenlicht, das die Zigeuner-Puppe beleuchtet, erlischt. Eulalio raucht mit übertriebener Mimik. Er bemerkt die Vagabunden-Puppe und schickt sich an, sie zu schütteln.)
EULALIO: Sieh mal einer an, Bruder! He! (Pause) So eine wunderbare Violine und dabei sorglos schnarchen? (Pause) Quält Sie da nicht Ihr Gewissen als Geiger? (Pause) Würde es Sie beflügeln, für die Mayo zu spielen? (Pause) Wissen Sie, wer die Mayo ist? Nein? Dummkopf! (Pause) Oh, das ist egal, wichtig ist, dass Sie ein Konzert geben für eine Starsopranistin. (Pause) Wie ist Ihr Repertoire? Ach, egal. (Pause) Das Treffen mit der schönen Rosa wird Ihnen schon etwas eingeben. (Pause) He, warum blinzeln Sie? (Pause) Würden Sie nicht gern an den Festspielen in Salzburg teilnehmen? Ja, Mann, Salzburg, die Wiege von Mozart, das könnte die Mayo bewirken ... (Pause) Stellen Sie sich das vor. Ihre Violine würde man in Salzburg hören. (Pause) Los! Stimmen Sie schon mal Ihr Instrument.
(Eulalio kaut nachdenklich auf der Pfeife. Eine Violine ertönt, als ob eine Partitur geprobt wird. Fast magisch gehen die Lichter an wie himmlische Monde, sie beleuchten Vagabundenpuppen, die auf den Bänken und dem Rasen verstreut sind. Eulalios Gesichtsausdruck erhellt sich. Er lächelt, als ihm ein Einfall kommt; in einer Pantomime unterhält er sich mit den Bewohnern des Parks: Er gestikuliert, zeigt Billetts, als wollte er sie verführen. Die Euphorie überkommt Eulalio, während sich der Park verdunkelt. Man hört nur die sehnsüchtige Melodie der Violine. Als sie verstummt, gehen Lichter an, man sieht Eulalio, der mit betrübtem Gesicht zum Bett von Rosa Mayo geht.)
EULALIO: Rosa, meine kleine Rosa. (Betrachtet sie mit Panik.) Püppchen, hier ist dein aggressiver Manager, der dir etwas mitbringt ...
(Als sie keine Zeichen von Leben gibt, fühlt Eulalio ihr den Puls; sie öffnet die Augen.)
ROSA: Bist du es?
EULALIO: Rosa. (Seufzt.) Wie geht es meinem Bühnenstar?
ROSA: Schlecht.
EULALIO: Das ist nicht möglich! Du kannst die Welt nicht enttäuschen, die dich anbetet.
ROSA: Meine Leibwächter sollten dir eine Tracht Prügel verabreichen. Du schmeichelst mir schon wieder.
EULALIO: Warte.
(Mit einem triumphierenden Lächeln richtet Eulalio sich auf. Der Husten von Rosa Mayo ist fast unhörbar.)
ROSA: Verlass diese verwelkte Rose, bitte.
EULALIO: Weißt du, dass du Gäste hast?
ROSA: Verlass sie. Vergiss sie.
EULALIO: Einverstanden. Aber sag es ihnen, nicht mir.
ROSA: Ihnen?
EULALIO: Ja. Sag es dem Komponisten mit den noch nie da gewesenen Partituren, dem Librettisten, der fabuliert, wie es ihm in den Sinn kommt, sag es dem Direktor einer visuellen Fantasie, die einen aus der Fassung bringt, sag es dem Orchester, das den meisten Beifall bekommt, den Fotoreportern, den Starjournalisten der angesehensten Medien.
ROSA: Sind sie hier? Ist das möglich? Ist das nicht wieder ein Missverständnis?
(Eulalio räuspert sich absprachegemäß; sofort ertönt enthusiastisches Geschrei und Pfeifen.)
EULALIO: Hat die Mayo womöglich ihr Gehör verloren?
ROSA: Schnell. Beeil dich.
(Die Rufe der Menge werden lauter. Rosa Mayo richtet sich über einem Haufen Kissen in lebhaften Farben auf. Ihre Gesichtsfarbe ist von einer tödlichen Blässe.)
EULALIO: Brauchst du etwas?
ROSA: Gib mir den Spiegel, meinen Lippenstift. Und dieses Kästchen. Ich muss mich schminken. Rosa Mayo steht aus der Asche auf. Beweg dich, Schwachkopf.
(Eulalio bemüht sich, ihr gefällig zu sein; man hört das Stimmengewirr der erwähnten Journalisten.)
ROSA: Schwing deinen Hintern! Hörst du nicht die Jungs von der Presse? Weißt du, Trottel, ich werde dich ersetzen. Es ist nicht leicht, die Interessen der Mayo zu vertreten.
EULALIO: Ja, Rosa, ja.
ROSA: Bring die Möbel in Ordnung. (Sie schminkt sich mit überbetonter Weiblichkeit.) Parfümiere das Zimmer. Es soll nicht nach Sardinen riechen oder ...
(Mit einem Zerstäuber parfümiert Eulalio den Raum. Es gibt ein Getöse, Scheinwerfer beleuchten einen Haufen Vagabundenpuppen, die mit ihren Spielzeugfotoapparaten die Diva ins Visier nehmen, eine Puppe versteckt sich hinter einer aus Holz geschnitzten Fernsehkamera.)
ROSA: Oh, wie ungestüm die Presse von heute ist! (Lächelt wie ein Star.) Still, Leute, beruhigt euch.
EULALIO: Was für Manieren, was für Begierden.
ROSA: Lass sie. Natürlich sterben die Kommunikationsmedien aus Ungeduld über ...
EULALIO: Gut. (Stellt sich zwischen die Puppen und Rosa.) Rosa Mayo, es ist mir eine sehr persönliche Befriedigung, dir den Opernkomponisten vorzustellen, dessen Werke in einem ganz eigenen Licht glänzen.
ROSA: (Streckt zitternd ihre Hand aus.) Es ist mir ein Vergnügen.
(Pause)
EULALIO: Zu meiner Rechten der Direktor, der in der Lage ist, ein eigenes Universum mit einem Minimum an Requisiten zu schaffen.
ROSA: Sehr erfreut.
EULALIO: Und jetzt ... (Wendet sich zu den Journalisten-Puppen.) Bist du fertig, Rosa Mayo?
ROSA: Fertig, mein großartiger Manager.
EULALIO: Meine Herren, die Pressekonferenz ist eröffnet, die die berühmte Rosa Mayo der Presse schriftlich und audiovisuell gewährt.
(Ein Gejohle ertönt. Eulalio breitet die Arme aus.)
EULALIO: Eine Vorbemerkung. (Pause) Als exklusiver Repräsentant von Rosa Mayo erlaube ich mir, Ihnen vorzuschlagen, von kompromittierenden Fragen abzusehen. (Pause) Lassen wir diesmal das Problem der Immigration und den Konflikt im Nahen Osten beiseite.
(Eulalio fühlt den Wind des Friedhofs auf seinem Nacken. Er dreht sich zu Rosa Mayo um und bemerkt, dass sie im Sterben liegt.)
ROSA: Eulalio, kleiner Barde der Züge, mein Eulalio.
(Er setzt sich an ihre Seite. Dann erhebt er sich mit trüben Augen und wendet sich mit erstickter Stimme an die Puppen.)
EULALIO: Meine Herren, aus unvorhergesehenen Gründen delegiert Frau Mayo die Konferenz an ihren Vertreter. (Eine Träne rollt über seine Wange.) In einer Minute stehe ich der renommierten Presse zur Verfügung. (Pause) Aber jetzt lassen Sie uns allein, bitte ... (Seine Stimme zittert.) Bitte.
(Ein Scheinwerfer nach dem anderen, die die Puppen beleuchten, geht aus, außer dem Deckenlicht, dass die Puppe mit der Violine beleuchtet. Überwältigt geht Eulalio zu der regungslosen Rosa Mayo, die zu lächeln scheint. Die Lichter werden dunkler. In einer Ecke beleuchtet ein anderes Licht intensiv die Vagabunden-Puppe und wie ein Zauber hört man die Klage einer Violine. Eulalio schließt unbeholfen und zärtlich Rosas Augen.
Während die Lichter langsam ausgehen, ertönt Musik von Verdi und man sieht die Silhouette des Tenors, der ein Stück aus
La forza del destino
singt. Dunkelheit und Schluss.)